Mama Soul und ein unsung hero


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Am 14. September 2017 starb 66-jährig der Hamburger Singer/Songwriter und Consultant Wolfgang Michels, am 27. September 2017 die Mannheimer Sängerin Joy Fleming (72). Beide haben dem Team von KÜSmagazin zu unterschiedlichen Anlässen gerne Rede und Antwort gestanden. Ein Nachruf auf zwei Ausnahmekünstler.

„Consultant“ – ein Anglizismus, der oft genug als Gummiphrase daherkommt. Auf Wolfgang Michels traf er im guten Sinne zu. Wir lernten uns kennen, als er Ende der 90er für East West Music das Schallplattenlabel Telefunken reaktivierte, lang vergriffene Schallplatten u. a. von Manuela, José Feliciano und Jürgen Marcus in der Originalversion auf CD brachte. Mit informativen und sorgfältig erstellten Booklets, versteht sich. 2003 kamen dann seine eigenen Originale aus der Vinylzeit auf CD zurück. Einen „unsung hero“, einen nicht gesungenen Helden hat ihn ein Kollege damals genannt. Tatsächlich: Knapp 18-jährig von Alexis Korner entdeckt, sang er erst in Englisch, ab 1981 dann in deutscher Sprache. „‚Dies könnte unsere Heimat sein’ ist auf einer langen Reise durch Deutschland entstanden“, sagte er 2003 anlässlich seiner eigenen Neuveröffentlichungen im Interview mit KÜSmagazin als Beispiel für seine Arbeitweise als Musiker. Er sah sich als Weggefährte u. a. von Udo Lindenberg und Rio Reiser, mochte die leisen, aber auch rauen Töne, die ungefiltert den Weg auf den Tonträger fanden. Alexis Korner hatte ihn seinerzeit auch ermutigt, auf Deutsch zu singen – was Ende der Sechziger unter Rockmusikern noch als heikel galt: Zu kurz war der zeitliche Abstand zum unrühmlichsten Kapitel deutscher Geschichte, in dem zugleich die Landessprache in fürchterlichen Phrasen instrumentalisiert wurde. Michels, wie er sich als Musiker nannte, hat Korners Rat befolgt und – ohne Übertreibung – zur Rehabilitation seiner Muttersprache beigetragen.

„Es genügt nicht, dass das Publikum den Künstler schätzt – der Künstler muss auch das Publikum schätzen.“
– J
oy Fleming

Eine besondere Bedeutung hatte die Muttersprache auch für Joy Fleming, die ihre ersten Auftritte ebenfalls in Englisch hatte. Entdeckt im „Talentschuppen“ nach ersten – kleinen – Publikumserfolgen in den amerikanischen GI-Clubs rund um Mannheim, wurde später das Idiom der Neckarstadt zu ihrem Markenzeichen. Das begann mit dem „Neckarbrückenblues“, der ihr 1972 den Durchbruch brachte. „Es genügt nicht, dass das Publikum den Künstler schätzt – der Künstler muss auch das Publikum schätzen. Und auf der Bühne zu stehen und den Menschen im Publikum ihre Rührung anzusehen – für einen Künstler gibt es doch nichts Schöneres!“ Was Joy Fleming über die Bedeutung von Live-Auftritten im Interview mit KÜSmagazin 2008 betonte, blieb zeitlebens ihr Selbstverständnis als Künstlerin: Die Atmosphäre des kleinen Clubs lag ihr. „Wenn wir auf Tour sind, dann müssen wir mit großen Autos fahren, und die haben wir eben auch als Firmenwagen: Mercedes, BMW, Opel. Man muss zum Beispiel darauf achten, dass die gute Schalensitze haben, weil es um lange Strecken geht – Rückenproblemen vorbeugen! Außerdem sind wir auf Tour ja immer mit mehreren Personen unterwegs. Und dann geht es noch um sehr viel Gepäck, das problemlos Platz finden muss – Kleidung, technisches Equipment und mehr“ – ihr Terminkalender blieb über die Jahre gut gefüllt. Nach der MIDEM in Cannes von 1975 standen ihr große Chancen auf eine Weltkarriere offen. Als Vertreterin Deutschlands beim Grand Prix Eurovision de la Chanson landete sie Monate später auf dem vorletzten Platz. „Ein Lied kann eine Brücke sein“ – heute längst ein Kult, ein Evergreen, war für diesen Wettbewerbsjahrgang textlich und vor allem musikalisch zu modern, zu avantgardistisch.

Ohnehin passte sie nie, in den Siebzigern am wenigsten, ins Schema dessen, was gerade für Sängerinnen angesagt (will heißen: leicht verkäuflich und oft genug genau so leicht wieder in der Versenkung verschwunden) war. Das hat ihr manche Schmähung eingebracht – wegen ihrer bisweilen direkten Art, ihrer Weigerung, die gewünschten werbewirksamen Phrasen zu dreschen, und immer wieder wegen ihrer fülligen Statur. Auffallend, dass zu ihren stimmlichen Qualitäten dagegen nie, wirklich nie, abfällige Kommentare fielen. Für ihre Fans blieb sie eh „Mama Soul“.

Am Tag unseres Interviews, so erzählte sie, hatte sie morgens „The Zimmers“ mit dem damals 90-jährigen Alf Carretta im TV gesehen. „Na, dann kann ich ja auch beruhigt 90 werden und mit meinem Live-Programm über zweieinhalb Stunden weiter auf der Bühne stehen“, sagte sie lachend. Es kam – leider – anders.

„Viele meiner Songs haben eine Fahrt als Hintergrund.“
Wolfgang Michels

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