Jens Lehnertz – auf den Spuren von Deubel/Hörner


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Motorrad fahren kann etwas Wunderschönes, etwas Beruhigendes sein, das eine Aufbruchsstimmung verspricht. So ein erster Ausflug mit dem Bike in den Frühling zu dieser Jahreszeit nach dem kalten Winter: das ist doch etwas, was alle Sinne betört und Lust darauf macht, wieder unendliche, nie aufhören wollendes Kurvengeschlängel auf der Landstraße zu räubern. Cruisen eben im feinsten Sinne.

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Motorrad fahren, das kann aber auch etwas richtig Wahnwitziges sein. Eigentlich schlimmer noch, als es der erste deutsche Weltmeister seit 18 Jahren, Stefan Bradl, und seine Kollegen Woche für Woche auf den anspruchsvollsten Rennstrecken dieser Welt tun. Mit halsbrecherischer Artistik, Zentimeter über dem glühenden Asphalt Richtung Ziel fliegen. Eins mit der Maschine sein, und dabei doch die Gewissheit haben, jeden Moment wie von einem bockigen Rodeo-Pferd abgeworfen zu werden. Wer Glück hat, der kommt dann mit dem x-ten Schlüsselbeinbruch seiner Karriere davon. Motorrad fahren, das kann aber auch etwas sein, bei dem der objektive Betrachter nur ungläubig mit dem Kopf schüttelt und sich fragt, warum ein junger Mensch so etwas macht. Dann nämlich, wenn man diesen Sport so ausübt wie Jens Lehnert aus dem kleinen Eifeldörfchen Geichlingen nahe der Grenze zu Luxemburg. Lehnertz (22), gelernter Zimmermann, ist fast 1,90 Meter groß und im Moment dabei, sich einen Namen zu machen in einer Motorrad-Disziplin, die einst eine deutsche Domäne war. Der schlaksige junge Mann ist Beifahrer bei Seitenwagen-Gespannen.

«Schmiermaxe» nennt man solche Leute, die nicht nur bei Tempo weit über 200 km/h sich aus ihrem festen Platz im Gespann heraus lehnen müssen, mit dem Allerwertesten oder allen möglichen Knochen fast die Fahrbahn rasieren und dann noch darauf vertrauen müssen, dass der Fahrer keinen Fehler macht. Eigentlich nichts anderes als ein Himmelfahrtskommando. Und doch sagt der junge Mann aus dem äußersten Westen Deutschlands nur locker lächelnd «Nö, warum? Macht doch Spaß», wenn man ihn danach fragt, ob man nicht ein bisschen bekloppt sein muss, um so etwas zu machen.

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Flottes Gespann: Der Schweizer Jakob Rutz und sein deutscher „Schmiermaxe“ Jens Lehnertz in der Sidecar-Weltmeisterschaft unterwegs.

Dabei haben Seitenwagengespanne in Deutschland eine große Tradition. Die bekanntesten waren Max Deubel und Emil Hörner, die in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts viermal Straßenweltmeister im Seitenwagensport wurden.Dazu gewannen sie dreimal die legendäre «Tourist Trophy» auf der Isle of Man. Das ist so etwas wie das Wimbledon des frühen Motorradrennsports. Lange galten die waghalsigen Männer in den Gespannen neben den Piloten in den 500ern als die wahren Könige des Motorrad-Rennsports. Es gab spezielle Rennstrecken, wie etwa das «Schleizer Dreieck», die aufgrund ihrer Naturbeschaffenheit zu einer unvergleichlichen Mutprobe für die Piloten wurden. Erst recht für jene, die als «Anhängsel» im Seitenwagen wie eine Flummikugel hin und her fliegen und dabei mit Todesverachtung an den dünnen Haltegriffen ihrer donnernden Kanonenkugel herum turnen müssen.Doch Jens Lehnertz lässt sich davon nicht beeindrucken. Seit der junge Mann mit 19 Jahren zum ersten Mal Bekanntschaft mit dieser Art Fortbewegung gemacht hatte, war es um ihn geschehen.

Mit seinem Chef, einem Eifeler Zimmermann, der aus Lust und Leidenschaft Motorradrennen fuhr, begab sich der junge Mann zum ersten Mal als «Schmiermaxe» auf eine Rennstrecke und von da an war es um ihn geschehen. «So ein irres Gefühl, das war mit nichts zu vergleichen.» Gleich beim ersten Mal hatte es Jens gepackt, das Rennfieber. «Wir sind ja eine reine Exoten-Sportart. Da lernt man sich schnell kennen, wenn man ein paar Mal dabei war. So viele sind wir ja nicht.»

Schnell wurden das Talent und die Furchtlosigkeit des jungen Mannes aus der Eifel sichtbar. «Man muss gut antizipieren können, muss die Streckenführung sehr gut kennen und wissen, was man im nächsten Bruchteil einer Sekunde machen muss. Und sich dabei auch vom Fahrverhalten her sehr gut mit dem Fahrer verstehen. Das muss eine gemeinsame, fließende Bewegung sein. Sonst wird das nix», beschreibt er, worauf es bei einem Beifahrer im Gespann ankommt.

Jens Lehnertz machte rasch eine steile Karriere, die fast schon beängstigend schnell verlief. Und von der er noch nicht weiß, wo sie ihn einmal hinführen soll. Als der WM-erprobte Schweizer Gespannfahrer Jakob Rutz im Spätsommer des vergangenen Jahres einen Co. suchte, weil sich sein etatmäßiger Mitfahrer verletzt hatte, kam er mit Lehnertz ins Gespräch. Der junge Mann war ihm von Kollegen empfohlen worden. Und der Auserwählte war gleich begeistert dabei beim ersten Experiment auf internationaler Piste.

Da er selbst noch über keine internationale Lizenz verfügte, musste Lehnertz auf der Anreise zum Sachsenring, wo er seinen ersten WM-Start bestreiten sollte, noch «schnell mal eben» in Frankfurt beim Deutschen Motorsportbund (DMSB) vorbei fahren, um die erforderlichen Unterlagen bei den Sportkommissaren einreichen zu können. Sein erster Auftritt bei den «Großen» wurde für den Newcomer zu einem unvergesslichen Ereignis. Die mehr als 100.000 Fans auf dem Sachsenring feierten in erster Linie den deutschen Vorzeige-Piloten Stefan Bradl, der später Weltmeister werden sollte, aber für Jens Lehnertz tat sich eine ganz neue Welt auf.

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«Ich habe gar nicht gewusst, dass ich so viele Muskeln habe. Mir tut alles weh», bekannte er müde aber glücklich nachdem er am Montag in der Früh wieder nach Hause kam. Sein erster Auftritt in der Gespannklasse der Motorrad-WM endete für ihn und seinen eidgenössischen Piloten mit einem respektablen Ergebnis. «Wir hatten uns die Top Ten als Ziel gesetzt. Das hat nicht ganz gereicht, aber als Elfter unter 26 Teams waren wir beide hoch zufrieden. Schließlich sind wir noch nie vorher zusammen gefahren und Jakob wusste ja auch nicht, wen er sich da in den Beiwagen geholt hatte.» Rutz ist immerhin nicht irgendwer in diesem Sport, hatte die Vorsaison in der Weltmeisterschaft mit dem fünften Platz abgeschlossen. «Wir hatten nur zwei Qualifikationsläufe am Freitag und am Samstag, um uns auf einander abzustimmen. Dann ging es auch schon los», erzählt Jens Lehnertz, der zugab, «dass ich eine Menge Lampenfieber hatte, aber auch von meinem Können überzeugt war. Sonst bleibt man am besten gleich draußen aus dem Beiwagen.»

Bei dem einmaligen Gastspiel in der Weltmeisterschaft soll es für Jens Lehnertz nicht bleiben. Denn nachdem er sich bei seiner «Jungfernfahrt» in der Weltmeisterschaft erst einmal umgewöhnen musste, will er weiter dranbleiben und sich zu einem erfahrenen Co. weiterentwickeln. «Fast alles war neu und ungewöhnlich für mich. Nicht nur, weil die Griffe ganz anders angebracht waren, sondern weil Jakob auch einen völlig anderen Stil fährt, als das, was ich bisher gewohnt war. Er ist sehr auf den Beifahrer bedacht, setzt auf Teamarbeit. Ich musste viel mehr arbeiten neben ihm als ich das gewohnt war.»

Kein Wunder also, wenn dem jungen Mann noch Tage danach sämtliche Muskeln wehtaten, von deren Existenz er nicht einmal eine Ahnung hatte. Das Gespann Rutz/Lehnertz aber soll auch in der WM-Saison 2012 wieder in den Nennungslisten bei den Motorrad-Gespannen auftauchen. Und wenn es geht, auch in der Ergebnisliste ganz vorn.

Da mögen die Muskeln noch so schmerzen. Denn ein richtiger «Schmiermaxe» lässt sich von so etwas wahrhaftig nicht schrecken.

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