In Frankfurt auf den Spuren des Struwwelpeter


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Es sollte ein Weihnachtsgeschenk für den Sohn werden. Was er jedoch in den Auslagen der Läden an Bilderbüchern fand, gefiel Heinrich Hoffmann ganz und gar nicht – zu langweilig, zu trocken, zu unverständlich für Kleinkinder. So schrieb und zeichnete er, im Hauptberuf als Nervenarzt in Frankfurt-Sachsenhausen tätig, das Buch kurzerhand selbst – den «Struwwelpeter». Zum 200. Geburtstag von Heinrich Hoffmann hat die Stadt Frankfurt den Vater des Pädagogik-Klassikers 2009 mit zahlreichen Veranstaltungen im «Hoffmann-Museum» umfassend gewürdigt.

Heinrich Hoffmann Selbstbild mit Enkeln

Selbstbildnis mit Enkeln

 

So drastisch und brutal dessen Darstellungen bis heute wirken (man erinnere sich nur an Daumenlutscher Konrad, dem zur Strafe beide Daumen abgeschnitten werden und das beim Spiel mit dem Feuer verbrannte Paulinchen), so sehr war Hoffmann zugleich seiner Zeit voraus. Denn teilweise liest sich der «Struwwelpeter» wie der Auftakt zu einem Lehrbuch der modernen Psychiatrie: Der Zappelphilipp, der nicht ruhig am Tisch sitzen kann, beschreibt das typische Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADHS). Und der pausbäckige Suppenkaspar, der zunächst noch «gut im Futter» steht, bis er dramatisch an Gewicht verliert und schließlich genau daran binnen kurzer Zeit stirbt, weil er die Nahrung verweigert, ist ein ebenso typischer Patient der Magersucht. Nicht minder fortschrittlich war der Autor und Zeichner in seinem Hauptberuf: Dem Nervenarzt lag daran, die Lebensbedingungen psychisch kranker Menschen so gut wie möglich zu gestalten und sich nicht auf die Anwendung rigider «Heilmaßnahmen» zu beschränken.

Heinrich Hoffmann Ph Hoff 1861

Heinrich Hoffmann, 1861

Dennoch verwundert nicht, dass rund 125 Jahre nach dem Original ein radikaler Gegenentwurf erschien: Auf dem Höhepunkt der antiautoritären Erziehung konnte der «Struwwelpeter» im Zeitgeist kaum anders gedeutet werden als eine Art Leitfaden zu Drill und Strafe. Mit dem«Anti-Struwwelpeter» zeigt
1970 F(riedrich) K(arl) Waechter das grandiose Scheitern von Autoritäten und solchen, die sich dafür halten. Bei ihm, zum Beispiel, kommt der Schneider gar nicht dazu, dem Daumenlutscher etwas anzutun. Vorher rutscht er erst auf Seife und Speckfett aus, bevor ihn die Ofenbank im Zimmer endgültig schmerzhaft ausbremst. Und der Titelheld selbst ist nicht – wie bei Heinrich Hoffmann – ein Sinnbild für Nachlässigkeit und Faulheit, sondern trägt die langen Haare ganz einfach, weil sie ihm bestens gefallen.

Foto F.K

F. K. Waechter

Im Frankfurter Struwwelpeter-Museum erfährt man nicht nur, wie es zum Siegeszug eines Büchleins kam, das ursprünglich als Unikat des Verfassers für seinen Sohn gedacht war. Es gibt neben Sonderveranstaltungen auch die Möglichkeit, einen Kindergeburtstag im Museum zu feiern.

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Der Erziehungs-Klassiker als Inspiration: Mit dem „Struwwelhitler“ schufen Philipp und Robert Spence 1941 eine bitterböse Satire auf die damaligen politischen Verhältnisse in Deutschland. (Neuausgabe der deutschen Übersetzung mit engli- schen Originaltexten im Autoren- haus Verlag Berlin; 10 Euro).

Struwwelpeter-Museum

Schubertstraße 20, 60325 Frankfurt am Main
Telefon: 069 – 74 79 69
www.struwwelpeter-museum.de

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr

Zum 200. Geburtstag …

von Heinrich Hoffmann sind «Struwwelpeter» und «Anti Struwwelpeter» als Neuausgaben im Diogenes Verlag erschienen (je 14,90 Euro).

Pichler Oskar (1826-1865): Irrenanstalt, Frankfurt/Main (ohne Dat.)

Hoffmanns „Irrenschloss“ auf einer Ansicht des Architekten Oskar Pichler © Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

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