120 Jahre Renault


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„Das ist ein Cremeschnittchen!“ So erklärte meine Mutter mir ein Auto, das zur Vorderseite einer Postkarte in den späten Sechzigern gehörte. Das Auto an der Straße sah man zwar sofort, um das Modell zu erkennen, musste man dagegen schon sehr genau hinsehen.

Nun fand ich damals eine bestimmte Süßspeise extrem lecker: Blätterteig mit angedickten Kirschen und süßer Creme, obendrauf noch eine Teigschicht, und die mit dickem Zuckerguss. Das nannte sich „Holländer Kirsch“, war qua Natur ein echtes Cremeschnittchen und hatte so gar nichts gemeinsam mit dem Auto auf dem Papier. Des Rätsels Lösung erfuhr ich erst, als ich den Kinderschuhen längst entwachsen war.

Aus der Not des Nachkriegsjahres 1946 heraus wurden die ersten Exemplare des Renault 4 CV mit beiger Farbe lackiert, Restbestände der französischen Armee. Für die Bevölkerung sah das aus wie ein Butterklumpen, eine „motte de beurre“. Im Saarland prägte der 4 CV das Straßenbild vor allem während der Zollunion mit Frankreich. Die Fahrzeuge mussten daher nicht verzollt werden, und aus dem Butterklumpen wurde im Saarland das Cremeschnittchen.

Gesunder Pragmatismus wie dieser hat sicherlich vielen Renaults ihre Popularität verschafft. Erinnere man sich an den Renault 4 mit Lenkradschaltung („Revolverschaltung“) und den einfachen Sitzen („Hängematten“). Wer den heutigen Kultstatus des lange nicht mehr produzierten Kleinwagens einigermaßen erfassen will, sehe sich den Film „Nichts zu verzollen“ (im französischen Original: Rien à déclarer) an. Ein einfaches, preiswertes Fahrzeug – gerne von Studierenden gefahren, aber nicht nur.

Und doch hat der Renault 5, oberhalb des R4 positioniert, in dessen letzter Produktionsphase ein Einstiegsmodell bekommen, dessen Name offen ersichtlich Programm war: „Campus“ – noch einfacher und klarer lässt sich die bevorzugte Zielgruppe kaum beschreiben. Auf dem Campus sitzt man in Hörsälen, bereitet man sich auf Prüfungen vor, erlebt in den Prüfungen überraschende Höhenflüge ebenso wie fürchterliche Blackouts, und welche Kneipen es auf dem Campus gibt und wo die Mensa steht, das lernen die Erstsemester in der Regel sowieso spätestens am dritten Tag der Vorlesungszeit.

R4 und R5 sieht man heute noch in fahrbereiten Exemplaren mit gültiger HU. Extrem selten ist dagegen der Renault Dauphine geworden, dem der deutsche Volksmund kurzerhand den Markenteil im Namen strich, dafür aber die Verkleinerungsform an die Modellbezeichnung anhing. Das „Dauphinchen“ kam genau 10 Jahre nach dem 4 CV, basierte erkennbar auf ihm, war aber ein gutes Stück größer. Und dass die liebevolle Erinnerung an ihn weniger mit Butterklumpen und mit Büffeln, dafür aber mit Flirts und amourösen Abenteuern zu tun hat, ist ein weiteres Merkmal, das ihn, wenngleich inoffiziell, von anderen historischen Modellen unterscheidet. Aber wer weiß das wohl noch …

Mit dem Renault Espace hat die Marke mit der Raute die Fahrzeuggattung der (erschwinglichen) Großraumlimousine begründet. Mehr noch als Kosenamen wie „Windelbomber“ weist Autorin Helen Fielding auf die Bedeutung des Wagens hin: „Perpetua konnte so breit sein wie ein Renault Espace …“ – trotzdem bewegte sie sich, zum Leidwesen ihrer von Selbstzweifeln geplagten Arbeitskollegin Bridget Jones, mit unantastbarem Selbstbewusstsein durch Berufs- und Privatleben.

Ein paar Nummern kleiner geriet der 1992 lancierte Renault Twingo, der die Verwandtschaft mit dem Espace nicht leugnen kann. In Originalität und Popularität erinnert die erste Generation des Wägelchens tatsächlich an den Espace, und die Unverwechselbarkeit von Twingo I hat keine der Nachfolge-Generationen bis heute erreicht.

Das alles geht auf Louis Renault zurück und seine Voiturette, für die ein Direktantrieb entwickelt wurde. Will man die 1898 begonnene Geschichte im Jahr des 120. Geburtstags der Marke erzählen, darf das rumänische Tochterunternehmen Dacia nicht fehlen. Eine klar strukturierte Modellpalette, durchweg preiswerte Autos, die sich bei Bedarf, nach Gusto und natürlich entsprechend gefülltem Geldbeutel auch aufhübschen und technisch ausstatten lassen. Muss man nicht machen, ist aber möglich. Da sind wir dann wieder bei den Grundtugenden von Renault 4 CV und Co.

FOTOS Renault

 

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