Sin(n)fonie zwischen Eleganz und Eruption – Der Audi R8


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Fabian ist erst 12, und von der Erstkommunion gerade einmal so weit entfernt wie der Autor dieser Zeilen vom Vorruhestand. Was aber nicht zwangsläufig heißen muss, dass mein nicht weg zu diskutierender Vorsprung an Jahren auch zu einer Überlegenheit bei elementaren geistigen Auseinandersetzungen wie etwa beim Auto-Quartett führen muss. Wenn ich ehrlich bin, habe ich dabei – ohne zu schummeln, versteht sich – schon vor Jahren ziemlich alt gegen ihn ausgesehen. Alles rund um das Thema Automobil muss er wohl mit der Muttermilch aufgesogen haben, und die wechselnde Palette meiner Testwagen ist für ihn mittlerweile längst nichts anderes mehr als eine würdige Diskussionsgrundlage unter Männern und Experten. Gleichberechtigt, versteht sich, denn er ist ja schon 12.

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Dann aber kam es, wie es kommen musste, und ich muss gestehen, dass genau das eingetreten ist, was eigentlich zu erwarten war. Der Junior-Experte war erst einmal ruhig, ehrfürchtiges Schweigen mischte sich mit ungläubigem Staunen und der gaaaaanz vorsichtig formulierten Frage: «Du nimmst mich doch mal mit?» Was macht eigentlich das Besondere aus an einem Auto aus deutscher Manufaktur, wenn es mehr Aufsehen erregt als eine «bella macchina» aus Maranello? Oder, einfacher gefragt: Warum setzt dieser Wagen Sprichwörter außer Kraft? Nicht Kleider, sondern Autos machen Leute. Ein bestimmtes Auto eben, weil kein Mensch glauben konnte, dass ein deutscher Hersteller so was auf die (295er) Räder bringt. Der Audi R8.

Ist sein perlendes Weiß, oder diese unglaublich aggressive, angriffslustige, Raubkatzen-ähnliche Erscheinung schuld daran, dass ihn so gut wie jede(r) anstarrt? 1,25 Meter hoch nur, die in Richtung Vorderachse geneigte Kabine mit flachen Lichtdioden unterlegt, wie ein perfekt geschwungener Lidstrich. Ein Super-Sportwagen, der permanent auf dem Sprung scheint. Ein Fahrzeug, das voyeuristische Neigungen befriedigt und sein Innerstes, den wuchtigen Achtzylinder, unter einer gläsernen Vitrine anpreist. Emotional, exhibitionistisch und dennoch gleichermaßen mechanisch kühl. Fast schon erotisch provozierend, pure Leidenschaft eingefangen in den Kontext mathematischer und physikalischer Parameter. Die perfekte Synthese von Form und Formeln.

Um es vorweg zu nehmen: Natürlich durfte Fabian mitfahren. Durfte mal erleben, wie das ist, wenn man in einem Auto sitzt, es andauernd blitzt und man doch keine Angst haben muss, dass man mal wieder zu schnell war. Es war nämlich mal wieder eines aus dieser Heerschar von Foto-Handys, die aus vorbei fahrenden Autos gezückt wurden, um den Augenblick für die digitale Ewigkeit zu präparieren. Es tut einfach mal wieder gut, in Zeiten von CO2-Debatte, Klimaschelte und Verschärfung des Bußgeldkatalogs bestaunt und hofiert zu werden. Einfach nur, weil da 425 PS in einer unglaublichen Verpackung mit viel Karbon und Karacho wie eine Erscheinung am Wegesrand auftauchen.

Gott sei Dank liegt der Nürburgring nicht weit von meinem Heimatort.

425 PS, die die «zivile Version» des Le-Mans-Siegers auf 300 km/h beschleunigen und dennoch einen unglaublichen Komfort bieten. Komfort an Platz, an Straßenlage, an Fahrwerks-Modifikation, an Alltagstauglichkeit. Dieser Audi R8 ist keine Krach-Brüll-Beiß-Zisch-Prolo-Tüte, sondern ein wunderschön vernehmlicher Sportwagen, mit dem auch der A8-Freund in Nadelstreifen zum Börsenparkett chauffiert, ohne dabei dem eigenen Bandscheiben- und Gelenkapparat unwiderrufliche Schäden zuzufügen. Ein Innenraum, in dem Rennatmosphäre und feinster Luxus in einem beständigen Geben und Nehmen stehen.

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Welche Wunder der scheinbar verkehrten Welt. An der Tankstelle entsteht ein Volksauflauf, bieten Kollegen und Bekannte bereitwillig den Schlüsseltausch an – und kein Mensch ächtet Dich als den ultimativen Regenwald-Vernichter, obwohl dieses rollende Objekt der Begierde 349 Gramm CO2 pro Kilometer in die Luft bläst, und alle 100 Kilometer so um die 15 Liter feinstes Super Bleifrei zu sich nimmt.

Nach einem Druck auf den schwarzen Starterknopf erhebt der Achtzylinder aus vier mächtigen Endrohren erstmals seine gutturale Stimme. Auch er klingt auf den ersten Ton ein wenig erleichtert. Zunächst noch kein wohlklingender Tenor der Drehmoment-Klaviatur, sondern die Stimme etwas belegt. Ein wenig heiser. So lange, bis irgendwann die richtige Temperatur des Metalls und der Betriebsstoffe erreicht ist und die unvermeidliche Armada der Akustik besänftigt wird vom wohltuenden Legato der Trockensumpfschmierung.

Auf den ersten (Kilo-)Metern gibt sich der R8 im Automatic-Modus ein wenig zuckelnd und ruckelnd (wohl auch wegen des Allradantriebs), bis man ihm die Freiheit des manuellen Betriebes (per zweiter Schaltkulisse in der Mittelkonsole oder per Lenkradwippen) zugesteht. Zugegeben, es ist zunächst nicht ganz einfach, die richtige Dosierung zwischen feinfühliger, leichtfüßiger, liebevoller Massage des Gaspedals und brachialer Gewaltverherrlichung des Fußraums zu finden. Heavy-Metal-Freunde werden Letzteres bevorzugen, bringen sich jedoch selbst um den sinnlichen Genuss des wohltemperierten Ventilspiels.

Wer einmal eins mit dieser unglaublichen Mischung aus Löwe und Libelle, aus Angriff und Anmut, aus Eleganz und Eruption sein will, dem seien die frühen Morgenstunden ans Herz gelegt. Dann, wenn das erste Morgenrot das graue Asphaltband umschmeichelt, der Horizont sich in zarten Schatten von der Königin der Nacht verabschiedet, und die Freiheit auf der Tachoskala bis an die 8.000 Touren zumindest phasenweise noch grenzenlos erscheint. Nur eines sollte man zur ultimativen Steigerung der Ekstase beim fränkischen Pendant zum Lamborghini Gallardo in diesem Fall tunlichst vermeiden: Die Augen schließen!

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