Isle of Man Tourist Trophy


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Ein Motorradrennen, wie es gefährlicher nicht sein kann. 60,725 Kilometer Rennstrecke, die eigentlich keine ist, denn es sind ganz normale Verkehrsstraßen, die für die berühmt-berüchtigte Tourist-Trophy auf der britischen Isle of Man gesperrt werden. Der Snaefell Mountain Course hat weder Auslaufzonen noch Kiesbetten, aber über 200 Kurven. Wer kommt nun also auf die wahnwitzige Idee, sich ein 200 PS starkes Motorrad zwischen die Beine zu klemmen und dort mit Geschwindigkeiten von teilweise über 300 km/h herzudonnern?

MMX500

Einer davon heißt Ian Lougher. Ein Name, der bei Kennern der Tourist Trophy Ehrfurcht auslöst. Der Waliser kann auf über 30 Jahre erfolgreiche Teilnahme am Prestigerennen auf der Insel zurückblicken. Zehn Gesamtsiege und insgesamt 29 Podiumsplätze gehen auf sein Konto. Seine wilden Jahre hatte Lougher in der Zeit, als die Rennmotorräder noch mit kreischenden Zweitakt-Motoren bestückt waren. Ein ganz besonderes Flair ging von diesen leistungsstrotzenden Renngeräten aus. Mit wenig Hub-raum, aber einer explosionsartigen Leistungsentfaltung, waren schnelle Rundenzeiten auf diesen Bikes eine schweißtreibende Angelegenheit. Liebhaber reden nicht ohne Nostalgie von der „Goldenen Ära“.

Ian Lougher

Ian Lougher

Der mittlerweile 53 Lenze zählende Waliser Ian Lougher hatte seine Karriere als aktiver Teilnehmer der Tourist Trophy eigentlich schon 2013 an den Nagel gehängt. In diesem Jahr kehrte der Haudegen, der sich eigentlich wirklich nichts mehr beweisen musste, als aktiver Rennfahrer auf die kleine Insel in der Irischen See zurück. Was trieb ihn trotz seines nicht mehr ganz jugendlichen Alters an, nochmals an diesem halsbrecherischen Rennen teilzunehmen? Es war der Ruf der Vergangenheit, der ihn aus dem Ruhestand zurückholte.

Sein früherer Rennsportkollege Eskil Suter machte ihm ein Angebot, das er einfach nicht ablehnen konnte.

Suter, seines Zeichens Motorenbauer und Rennstallbesitzer, will das ausschließlich viertaktende Starterfeld der Tourist Trophy mit einem modernen Zweitaktmotorrad aufmischen. Lougher ist sofort Feuer und Flamme und erklärt sich bereit, die Maschine über die Insel zu pilotieren. Das Motorrad an sich soll ein Tribut an die frühere Königsklasse des Motorradsports, die 500-Kubik-Klasse des MotoGP darstellen. Auf der Webpräsenz heißt es wenig zurückhaltend: „The beast is back. Just a real GP motorcycle …“

Übertrieben haben die Schweizer mit dieser Ansage allerdings nicht. Hinter dem Namen Suter MMX 500 verbirgt sich eine Maschine, für die man wohl eher einen Waffen- als einen Führerschein benötigt. Die Daten sind vielsagend: Ein 576 ccm V4 Zweitaktmotor mit sagenhaften 195 PS und dazu ein Fliegengewicht von nur 127 kg. Kein Wunder, dass dieses Geschoss Höchstgeschwindigkeiten jenseits der 310 km/h erreichen kann. Zweitaktfans sind von diesem Motorrad mehr als entzückt. Auch wenn das Motorenkonzept wenig zeitgemäß erscheint, in dem Suter-Superbike verbirgt sich modernste Technik. Das Benzin wird beispielsweise nicht durch Vergaser in den Brennraum geleitet, sondern per Direkteinspritzung. Auch Fahrwerkskomponenten und Bremsapparaturen sind state-of-the-art. Das Motorrad ist übrigens kein reiner Prototyp. Es wird mit einer limitierten Auflage von 99 Exemplaren auch zum Verkauf angeboten. Suter verlangt umgerechnet etwa 110.000 € für die MMX 500. Außerdem ließ der Firmenchef verlautbaren, dass in naher Zukunft eine straßenzugelassene Version gebaut werden soll. Na, dann heißt es schon mal sparen, sparen, sparen.

Zur Tourist Trophy 2016, die vom 28.05. bis zum 10.06. stattfand, reiste das Suter Team mit zwei Maschinen an. Lougher sollte diese in den prestigeträchtigsten Klassen des Rennens fahren, der Superbike TT und der Senior TT. Das sind die Klassen, bei denen die Platzhirsche mit ihren über 200 PS starken Viertaktern Rundenzeiten von knapp über 17 Minuten fahren. Bei dem 60-km-Kurs ergibt das Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 210 km/h! Dass diese Fahrer aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt sein müssen, ist selbstverständlich. Absolute Beherrschung des Motorrads ist unabdingbar, genauso wie Konzentrationsfähigkeit und Selbstkontrolle. Es schadet jedoch nicht, eine Prise Wahnsinn in den Knochen zu haben. Egal, ob junger Heißsporn oder routinierter Rennveteran, die Teilnehmer gehen jedes Jahr erneut das kalkulierte Risiko des Todes ein. Die Liste der Fahrer, die in den über 100 Jahren Tourist Trophy tödlich verunglückt sind, hat die 200 schon längst überschritten. Auch in der 2016er-Ausgabe blieb der TT-Rennzirkus nicht davor bewahrt, trauern zu müssen. Vier Fahrer überlebten ihre Stürze nicht. Ein Magazin betitelte das Rennen kürzlich als „world’s fastest way to die“.

Lougher ist kein Hitzkopf. Mit über 120 Starts auf dem sagenumwobenen Snaefell Mountain Course ist er routiniert und fährt – soweit man das überhaupt sagen kann – besonnen. Seine Erfahrung mit der Strecke und die notwendigen Fähigkeiten, einen kraftstrotzenden Zweitakter zu bändigen, machen ihn zum optimalen Pilot für Suters Hightech-Zweitakter, die MMX 500. Die Technik des neu entwickelten V4-Zweitaktaggregates zwang ihn jedoch häufig in die Box. Die brachial „The Beast“ genannte MMX 500 hatte zunächst Abstimmungsprobleme. Kein Wunder, die Suter wurde erst kurz vor der TT fertig entwickelt und gebaut. Die Mechaniker des Suter-Teams arbeiteten rastlos, um die Maschine bis zu den Rennen zu perfektionieren. Für Aufsehen sorgte das einzige Zweitaktmotorrad des Starterfelds in jedem Fall. Jeder wollte den Exoten unter die Lupe nehmen. Nicht nur Zuschauer, auch viele Fahrer zeigten Interesse.

Im ersten Rennen, der Superbike-Klasse, traf es das Suter-Team dann sehr hart. Ein Problem mit dem Mapping verursachte Fehlzündungen am dritten Zylinder. Das Motorrad fiel nach nur einer von sechs Runden aus. Die Enttäuschung war groß, denn die MMX lief nach einigen Nachtschichten der Mechaniker endlich zu Loughers Zufriedenheit. Die Versöhnung folgte jedoch am letzten Renntag. In der Senior TT, der Königsklasse der Tourist Trophy, konnte der Waliser einen 34. Platz einfahren. Sicherlich wäre noch mehr möglich gewesen, jedoch sah Lougher, bevor er die sechste und letzte Runde des Rennens angehen konnte, die rote Flagge. Direkt vor ihm hatte sich ein heftiger Sturz ereignet, sodass er das Rennen nicht weiter fahren durfte. Im Rennen konnte die Suter MMX 500 eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 195,5 km/h und eine Höchstgeschwindigkeit von 295,5 km/h erreichen. Was sich unglaublich anhört, reichte jedoch längst nicht aus, um die Spitze des Feldes auf ihren Viertaktern zu gefährden. Dort wurde übrigens Geschichte geschrieben, denn Michael Dunlop unterbot erstmals die 17-Minuten-Marke für eine Runde auf dem Mountain Course. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 214,675 km/h schaffte der 27-jährige Dunlop auf seiner BMW S1000RR die 60-km-Distanz in einer Zeit von 16:58,254 Minuten. Der Rekord ging einher mit dem Klassensieg.

Ian Lougher ist über sein Ergebnis geteilter Meinung, da es „dem Aufwand der harten Arbeit und dem Enthusiasmus, den das gesamte Team in das Event gesteckt habe, nicht gerecht wird“. Andererseits führt er an, dass die Leistung für den Debüteinsatz des Motorrades nicht zu verachten sei und dass in der MMX 500 noch sehr viel Potenzial stecke. „Wir haben eine Menge Erfahrung und Daten gesammelt, die uns für einen gehörigen Angriff im nächstjährigen Rennen zur Verfügung stehen.“ So spricht sicherlich kein Mann, der nach einem kurzen Rennintermezzo wieder in den Ruhestand zurückkehren will.

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