Forte Bramafam: Historischer Fuhrpark für Kanonen


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Natürlich war das Rad längst erfunden. Natürlich hat sich der Mensch privat, beruflich und in Friedens- wie in Kriegszeiten dieser technischen Errungenschaft eifrig bedient. Dennoch gab es im 19. Jahrhundert neue Herausforderungen, die durch die Faktoren Gewicht, Schnelligkeit und Flexibilität geprägt waren.

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Die Landesgrenzen zwischen Frankreich und Italien wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu gezogen. Kriege waren dafür verantwortlich. Kriege, die hier in den Piemontesischen Hochalpen, am westlichen Ende des oberen Susa-Tales, besonders heftig und für beide Seiten verlustreich geführt wurden. Dabei ging es weder um Erdöl, Erdgas oder andere Grundbedürfnisse modernen Lebens. Es gab nur Steine, Felsmassive, Eis und Gletscher. Die Sarazenen aus Nordafrika haben das im frühen Mittelalter auf ihrem Eroberungsfeldzug nach Mitteleuropa zu spüren bekommen: Sie wurden hier aufgerieben, teils durch massive Gegenwehr der heimischen Soldaten, teils durch Naturphänomene wie Schnee und Kälte, die sie noch nicht kannten. Der überlebende Rest floh wieder in den sichereren Süden Europas oder gar zurück nach Afrika.

Franzosen und Italiener waren sich auch im 19. Jahrhundert nicht gerade freundschaftlich verbunden. So wurden beidseits der alpinen Grenzen Befestigungsanlagen bis in Höhen von 3.000 Metern angelegt. Forts und Bunker, die den ersten und zweiten Weltkrieg überlebt haben, zeugen noch heute davon, doch in meist durch Sprengungen halbzerstörtem und verfallenem Zustand.

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Eine der wenigen Ausnahmen stellt das „Forte Bramafam“ auf 1.447 Metern dar. Am südlichen Rand der kleinen aber lebendigen Alpinstadt Bardonecchia auf einem Hügel im engen Rochemolles-Tal gelegen, bot es zahlreiche Vorzüge für eine solche Anlage: Gute Sicht nach allen Seiten, ohne sich selbst optisch preiszugeben. Schließlich wurden die Baustoffe Beton und Naturstein äußerst geschickt und ebenso stabil miteinander verbunden. Wald umgab und umgibt noch heute die Festungsanlage. Der Feind hatte schlichtweg schlechte Karten. 200 Soldaten galten als „Stammpersonal“, aber für insgesamt 280 war Platz vorhanden.

Aufgabe von Bramafam, dessen Name nach Überlieferung wohl aus dem Arabischen (aus der Sarazenenzeit) stammt und auf den Waldhügel gemünzt ist, war hauptsächlich, die Eisenbahn-Tunnelröhre, die unter dem Massiv der „Punta del Frejus“ (über 3.000m) durchgebohrt wurde hinüber ins französische Modane, zu bewachen. Viele Jahrzehnte später schloss sich dieser meisterhaften Bauleistung fast parallel noch eine Autobahn-Röhre an. Die Festung war auf über 4.000 Quadratmetern in sternförmig variierter Form angelegt. Auch aus heutiger Sicht darf sie getrost als Hochsicherheitstrakt bezeichnet werden, militärisch hochgerüstet, wie sonst kaum eine andere Bastion. Nach 17 Jahren Bauzeit wurde das Werk 1889 beendet. Ein Bollwerk war entstanden.

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In den Annalen des „Deuxième Bureau“, dem französischen Geheimdienst, ist das Fort seit 1892 als „einsatzbereit“ vermerkt. Auf dem sicheren Betondach waren unter anderem 2 Türme mit „Gruson 120/21“-Geschützen montiert, die in modifizierten Panzerkuppeln eingearbeitet waren. Die arbeiteten derart funktionssicher und durchschlagend im Wortsinne, dass sie auch noch im 2. Weltkrieg gute Dienste leisteten. Dazu kamen vier 57er-Schnellfeuergeschütze in versenkbaren Türmen sowie sechs 87B-Geschütze. Die Artillerie als schlagkräftige Ergänzung dieser mächtigen Kanonen war stets fahrbereit und umfasste zwei 149G-Kanonen und bei Bedarf weitere vier 87B-Mörser.

Da Kanonen bekanntlich nur selten selbst fahren können, mussten sie gezogen werden. Dafür sorgte ein kleiner Fuhrpark von Spezialfahrzeugen. Leicht modifizierte Lastkraftwagen zum einen, Sonderanfertigungen für den ganz harten Einsatz zum anderen. Zum Beispiel der schwere Pavesi Tipo P4-100, der zunächst noch als Diesel im Einsatz war, später dann, wegen der höheren Leistung, als Benziner mit Zenith-Vergaser umgebaut wurde. Ein Kraftpaket der besonderen Art, stand er anfangs noch auf Vollgummi, der direkt über die Eisenfelge gestülpt war. Für den Einsatz im Winter, im Matsch und auf Geröllpassagen waren seitlich außen neben dem Felgenbett herausklappbare Greifelemente angeschraubt, die sich über die Reifenlauffläche legen ließen.

Dann gab es kein Halten mehr, dafür 100 Prozent Vortrieb, der zum Ziehen der schweren Kanonen auch notwendig war. Eine technisch im Prinzip simple, aber derart wirkungsvolle Lösung, dass sie auch für den Kriegsschauplatz Nordafrika genutzt wurde. Von Anfang an war auch die italienische Industrie eingebunden: Fiat lieferte Motoren für die Zugmaschinen und Lastkraftwagen, Pirelli steuerte hochfeste Sondergrößen für die fahrbaren Lafetten (Fahrgestelle für Kanonen) bei.

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Als der 2. Weltkrieg vorüber war, war das Fort der Plünderung und Verwahrlosung ausgesetzt. Erst seit 1995 wurden durch eine Initiative Sanierung und Renovierung begonnen und etwa 2008 abgeschlossen.Ein geführter Rundgang durch das „Forte Bramafam“ reicht heute von den Außenanlagen bis ins tiefe Innere, wo die Sanierungsarbeiten einen mystisch-starken und tiefen Eindruck hinterlassen. Nach historischen Originalvorlagen wurden Mannschafts- und Offiziersräume ebenso naturgetreu restauriert wie Toilettenanlagen, Küchentrakte und innen liegende Kanonenstände. Über 130 Jahre faszinierende Militärgeschichte macht die alte Zeit wieder lebendig.

Alleine die Vorstellung der gewaltigen Explosionsgeräusche der mobilen und stationären Mörser und Kanonen erzeugt sogar heute noch einen kalten Schauer.

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