„Die meisten Falschfahrten beginnen auf der Zufahrtsstraße.“


Interview mit Dr. Detlev Lipphard, Referent für Straßenverkehrstechnik des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR)

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Immer wieder lassen uns Meldungen über Falschfahrer auf der Autobahn hochschrecken. Im Kopfkino läuft der Film eines katastrophalen, zerstörerischen Crashs ab. Wenn es zu einem Unfall kommt, hinterlässt dieser meist ein Trümmerfeld. 20 Menschen verunglücken pro Jahr auf unseren Autobahnen durch Falschfahrer tödlich, so der ADAC. Bis zu 2.700 Mal werden in einem Jahr Falschfahrer gemeldet, ein Viertel davon sind tatsächlich Falschfahrer. Also ein zu vernachlässigender Zustand?

Geisterfahrer auf Autobahn - Ghostrider on a Highway

„Keinesfalls“, sagt Dr. Detlev Lipphard, Referent für Straßenverkehrstechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat e. V. Jeder Unfall ist einer zuviel, die Prävention muss selbstverständlich für das gesamte Verkehrsgeschehen gelten. Doch man sollte das Thema Falschfahrer innerhalb des gesamten Unfallgeschehens betrachten, so Dr. Lipphard.


Herr Dr. Lipphard, Falschfahrermeldungen im Radio hört man vermehrt am Wochenende oder nachts. Woran liegt dies Ihrer Meinung nach?

Das liegt daran, dass man dann möglicherweise keinen Gegenverkehr hat und sich auf der richtigen Fahrbahn wähnt … Dazu kommen mit Sicherheit noch beeinflussende Faktoren wie Alkohol, Drogen oder ähnliche Dinge. 43 % der Falschfahrer werden am Wochenende gemeldet.
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Wo sehen Sie die Hauptgefahrenquellen für das falsche Auffahren auf die Autobahn?

Es gibt verschiedene Gefahrenpunkte. So kann man auch an einer Raststätte auf die verkehrte Fahrbahn auffahren. Der wesentliche Punkt ist aber, dass man schon falsch an der Anschlussstelle auf die Autobahn auffährt. Die meisten Falschfahrten beginnen schon auf der Zufahrtsstraße.

Wie wichtig ist das Thema Falschfahrer bei der Planung und dem Bau von Straßen. Wer wird dort gehört?

Es ist präsenter geworden – nicht zuletzt durch die zunehmende, allerdings manchmal reißerische Berichterstattung der schrecklichen Unfälle in den Medien. In der sogenannten Verkehrsschau arbeiten Polizei, Verkehrs- und Baubehörden zusammen. Sie haben den Auftrag, sich turnusgemäß die Situation vor Ort anzuschauen und zu bewerten. Der Zustand und Standort von Beschilderungen, Markierungen, eventuelle Missverständlichkeiten – all diese Dinge stehen auf dem Prüfstand mit der Frage: Können so Falschfahrten ausgeschlossen werden? Wobei man dies nie zu 100 % erreichen kann. Die Verantwortlichen, hier vor allem die Autobahnmeistereien, wenden die Verkehrsschau inzwischen verstärkt an. Dazu kommen die Sicherheitsaudits. Unabhängige Fachleute begutachten den Neubau oder die Änderung von Autobahnauffahrten, etwa die Beschilderung und die Linienführung. Das hat sich seit zehn Jahren bewährt.

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Was wird an Anschlussstellen Ihrer Meinung nach nicht richtig gemacht und was kann man dagegen tun?

Die Experten sind sich einig. Wichtig ist die Lage der Haltelinie an der Auffahrtspur. Sie muss hinter der Einmündung der Abfahrtspur liegen. Man muss, wenn man an der Haltelinie anhält, bereits an der Abfahrtspur vorbei sein. Sonst ist die Gefahr groß, dass man schon hier auf die falsche Spur gerät. Die klare, gut und vorausschauend sichtbare Markierung ist meiner Meinung nach die beste Maßnahme, um Falschfahrten zu minimieren. Das gilt auch und vor allem für die Fahrt bei Nacht. Jeder Anschlussknoten muss im Einzelnen begutachtet werden. Eine Standardsituation gibt es nicht. Es besteht an einer Reihe der Auffahrtknoten Nachholbedarf. Weiterhin denkt man über das Aufstellen großer Warntafeln, wie etwa in Österreich, nach. Hier läuft ein Versuch in Bayern, die Ergebnisse sind abzuwarten.

Was halten Sie von den geplanten Assistenzsystemen gegen das Falschfahren in Fahrzeugen oder etwa von Krallen in der Auffahrt, welche die Reifen zerstören und so zum Anhalten zwingen sollen?

Die Fahrzeughersteller sind hier noch mitten in der Entwicklung, die Systeme sind leider noch weit von einer Marktreife entfernt. Krallen sind bei Fachleuten kein ernsthaftes Thema. Fahrzeuge, die auch mal entgegengesetzt fahren müssen, etwa Polizei und Rettungsdienste, müssten weite Umwege fahren. Außerdem ist das System viel zu teuer.

Wie ist das Thema Falschfahrer in die gesamte Unfallsituation in Deutschland einzuordnen?

Das Statistische Bundesamt hat für das Jahr 2011 18.290 Autobahnunfälle mit Personenschäden registriert, davon 101 mit entgegenkommenden Fahrzeugen. Dabei wurden 18 Personen getötet. Das sind 4 % aller auf der Autobahn getöteten Menschen. Das ist zwar ein ernst zu nehmender Umstand. Man darf aber nicht, etwa durch die große Medienpräsenz der Falschfahrunfälle bedingt, das andere Unfallgeschehen vernachlässigen. So sind etwa Landstraßen viel gefährlicher als Autobahnen. Zum Beispiel ist jeder 5. tödliche Unfall auf Deutschlands Straßen ein Baumunfall auf der Landstraße. Im Jahr 2011 sind auf Landstraßen mehr als 2.000 Menschen getötet worden, auf Autobahnen waren es etwa 450.

Was kann man tun, wenn die Meldung im Radio einen nahenden Falschfahrer meldet? Da gilt es, sofort das Tempo rauszunehmen, langsam und so weit als möglich rechts zu fahren. Keine Panik, denn dann wird zumindest einem selbst nichts passieren.

Herr Dr. Lipphard, vielen Dank für das Gespräch.

Mit Dr. Detlev Lipphard sprach

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