Togg: E-Mobilität „made in Turkey“


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Er kommt aus der Türkei, konkurriert mit den chinesischen Herstellern am Markt, doch das Gespräch führt er freudig in Deutsch. Mehmet Gürcan Karakaş ist dankbar für jede Gelegenheit, seine Sprachkenntnisse zu polieren, die er in den 30 Jahren bei Bosch erworben hat. Aber der smarte Manager, der vom Bereichsvorstand bei den Schwaben zum Chef des Konsortiums Togg geworden ist, hat in seiner Zeit in Stuttgart nicht nur Deutsch gelernt, sondern auch, wie die Automobilindustrie tickt: Das Leben und vor allem das Geschäft, so seine Erkenntnis, spielen sich nicht mehr auf der Straße ab, sondern im Internet. Nicht umsonst versuchten alle Hersteller, irgendwie das „Netz ins Auto“ zu bekommen. Bei Togg heißt es stattdessen: Wir wollen das Auto ins Netz bringen.

Der Viertürer ist vor allem ein Rechner auf Rädern, der mit einer neuen Elektronik-Architektur bestechen will

Nicht nur die intermodale Routenplanung werde damit zum Kinderspiel, zum ersten Mal könne man Services wie andere Verkehrsmittel aus dem Auto heraus auch problemlos bezahlen

Das Design ist im Zusammenspiel von Pininfarina und dem ehemalige VW-Designchef Murat Günak entstanden

Die Togg-Fahrzeuge wollen mit einer neuen Elektronik-Architektur bestechen

„Dafür muss ein Auto allerdings grundsätzlich anders konstruiert sein als bisher“, sagt der ehemalige Bosch-Manager und lenkt den Blick auf das „Advanced Smart Mobility Ökosystem”, das auf den ersten Blick eine moderne, aber keineswegs visionäre Coupé-Limousine aus der Kompaktklasse mit den mittlerweile üblichen Bildschirmlandschaften ist, deren Form im Zusammenspiel von Pininfarina und dem ehemaligen VW-Designchef Murat Günak entstand. Aber auf den zweiten Blick ist der Viertürer vor allem ein Rechner auf Rädern, der mit einer neuen Elektronik-Architektur bestechen will, die Karakaş so wichtig ist wie anderen Herstellern die Plattform. Diese sei künftig das zen­trale, wettbewerbsrelevante Element eines Autos und damit ausschlaggebend für den Erfolg. Deshalb erzählt Karakaş vor allem von den nur noch vier statt der sonst über 100 Steuergeräten und vom neuartigen Betriebssystem mit künstlicher Intelligenz und umfassender Vernetzung, das völlig neue Services ermögliche. Nicht nur die intermodale Routenplanung werde damit zum Kinderspiel, zum ersten Mal könne man Services wie andere Verkehrsmittel aus dem Auto heraus auch problemlos bezahlen. „Und diese Bezahlfunktion ist nur eine von über 20 neuen Anwendungen, die wir gemeinsam mit potenziellen Kunden aus über 1.000 Ideen als innovative und begehrenswerte Dienstleistungen identifiziert und für unsere Autos umgesetzt haben.“ Ihm geht es um Funktionen, die es noch nirgends gäbe – und die begehrenswert genug seien, um Kunden zum Umsteigen zu bewegen.
Dieser Ansatz ist freilich nicht ganz neu und schwingt so bei fast allen Start-Ups mit. Neu sind aber die Ursprünge des Unternehmens Togg: Denn Karakaş’ Firma ist kein Start-Up, kommt aus der Türkei, heißt ausgeschrieben Türkiye’nin Otomobili Girişim Grubu oder zu deutsch: Türkische Automobil Initiativ-Gruppe und ist der Zusammenschluss vier großer Unternehmen aus Einzelhandel, Lkw-Bau und Logistik.
Das macht die Sache spannend. Denn die Türkei ist auf der automobilen Weltkarte bislang noch ein ziemlich weißer Fleck. Zwar werden am Bosporus jedes Jahr Hunderttausende Autos wie der Ford Transit oder der Fiat Tipo im Fremdauftrag gebaut, doch mehr als die drei Prototypen des Devrim aus den 1960ern hat es von hier bisher noch nicht gegeben.
Mit dem Anspruch, das zu ändern, ist Karakaş angetreten, hat 3,5 Milliarden Euro budgetiert, die Industrie- und Handelskammer mit ins Boot genommen und eine imposante Aufholjagd gestartet. Der Rohbau für eine Fabrik in Gemlik im Nordwesten ist fertig, gerade stellen sie die ersten Fertigungsstraßen auf und im Winter 2022 soll die auf zunächst 125. 000 Autos im Jahr ausgelegte Produktion beginnen.
Los geht es allerdings mit einem vergleichsweise konventionellen SUV, das man obendrein noch kaufen muss und nicht als Service buchen kann, wie sich Karakaş das für später mal vorstellt. Es gibt den Erstling im Format des BMW iX3 mit 200 oder 400 PS und 300 oder 500 Kilometern Reichweite zu Preisen auf dem Niveau konventioneller Konkurrenten wie dem Nissan Qashqai, dem Peugeot 3008 oder dem VW Tiguan, sagt Karakaş.
Und wenn Togg in der Türkei erfolgreich durchstartet, dann steht für Karakaş bereits 2024 der Export an und dann ist Deutschland ganz vorne mit dabei. Gut möglich also, dass der ehemalige Bosch-Manager seine Sprachkenntnisse spätestens in zwei Jahren wieder etwas öfter unter Beweis stellt.

Text SP-X/Benjamin Bessinger
Fotos Togg

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