Morgan – ein moderner Anachronismus


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Steve Morris ist ein Auto-Boss, wie er in der PS-Branche selten geworden ist: Seit Jahrzehnten in der gleichen Firma, vom Praktikanten aufgestiegen bis zum Vorstandschef, die Tür zum Büro immer offen und nicht einmal eine Vorzimmerdame als Wellenbrecher. Und wenn er in der Cafeteria seiner Firmenzentrale über seine Pläne doziert, dann hat das mit dem üblichen Futurismus seiner Kollegen nicht viel zu tun.

Der neue Morgan PlusSix kostet 95.000 Euro


Leder wie in einer Kutsche
und eine Fahrdynamik
wie in einem Supersportwagen

Digitalisierung kommt ihm kaum über die Lippen, beim Stichwort Connectivity legt er die Stirn in Falten und Elektromobilität interessiert ihn allenfalls am Rande. Aber Morris steht auch keiner gewöhnlichen Firma vor. Der Mittfünfziger ist Chef von Morgan, der vielleicht schrulligsten Sportwagen-Marke der Welt. Sieht man einmal davon ab, dass Morgan seit den 1930ern tatsächlich ein viertes Rad an den Wagen schraubt und die Roadster seitdem ein »Plus« im Namen tragen, kann man die aktuellen Autos kaum von jenen aus den Gründertagen unterscheiden und wer mit Morris durch die Backsteinhallen läuft, in denen pro Jahr höchstens 1.000 Autos gebaut werden, der wähnt sich in einem Freilichtmuseum der Automobilproduktion – nicht umsonst zählt die Fabrik in der Pickersleigh Road jedes Jahr 35.000 Besucher.

Deshalb hört man keine Pressen und nicht das Zischen hydraulischer Roboter. Es dröhnen dumpfe Hammerschläge aus der Werkstatt, der Boden ist übersäht mit Hobelspänen, statt Schweißrobotern und Fließbändern gibt es Drehbänke und Nähmaschinen. Wo es sonst nach Öl und Benzin riecht, steigt einem hier der Geruch von Holzleim und Leder in die Nase: Wer durch die Morgan-Manufaktur schlendert, der mag nicht glauben, dass wir das Jahr 2019 schreiben und hier Autos für das Hier und Heute gebaut werden.

Dabei ist der PlusSix, den sie hier neben dem Threewheeler und dem PlusFour binnen vier Wochen zusammenbauen, nagelneu. Denn zum ersten Mal seit über 30 Jahren haben Briten tatsächlich auf einem weißen Blatt begonnen und noch einmal ganz von vorne angefangen: Eine neue Plattform, ein neuer Rahmen und vor allem ein neuer Antrieb sollen den Roadster zu Preisen ab 95.000 Euro fit machen für die Zukunft.

Ein moderner 340-PS-Motor in einem neuen Auto, das aussieht wie vor 100 Jahren, Holz und Leder wie in einer Kutsche und eine Fahrdynamik wie in einem Supersportwagen, Handwerkskunst hier und Hightech da – je länger man sich mit dem PlusSix beschäftigt, desto mehr kommt man auf dem persönlichen Zeitstrahl durcheinander. Firmenchef Steve Morris in seinem Büro mit den ausgetretenen Holzdielen und den trüb gewordenen Fenstern lebt einfach in seiner eigenen Zeit.

Statt Schweißrobotern und Fließbändern gibt es Drehbänke und Nähmaschinen

Wer durch die Morgan-Manufaktur schlendert, der mag nicht glauben, dass wir das Jahr 2019 schreiben.

 

 

 

 

 

 

Fotos          Benjamin Bessinger/SP-X

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