20 Jahre A-Klasse


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Kaum zu glauben, dass seither fast 20 Jahre vergangen sind. Kaum zu glauben auch, dass der Name eines Tieresden Ruf der A-Klasse zunächst so gründlich ruiniert, dass das Rauschen im Blätterwald auf Orkanstärke anschwillt. Kurz nach Redaktionsschluss der genannten KÜSmagazin-Ausgabe, am 21. Oktober 1997, legt nämlich ein gewisser Robert Collin, Autotester bei der schwedischen Zeitschrift „Teknikens Värld“, ein vollbesetztes und mit zusätzlichem Ballast beschwertes Exemplar des neuen Baby-Benz mit der internen Typenbezeichnung W 168 bei einem Ausweichmanöver aufs Kreuz. Die Fotos der arg zerknitterten dunkelblauen A-Klasse gehen um die Welt. Und Robert Collin, damals 48, sieht sich über Nacht mit den Kameras, Mikrofonen und Schreibblöcken der Weltpresse konfrontiert. Bald ist er so bekannt, dass er auf der Straße erkannt und um Autogramme gebeten wird.

Den Namen „Elchtest“ erhält das Ausweichmanöver, das damals weder zum Standard-Testprogramm von Mercedes noch von deutschen Fachmagazinen zählt und mit Geschwindigkeiten zwischen 50 und 80 km/h gefahren wird, erst im Nachhinein.

Collin bedient sich des Bilds vom Riesen-Hirsch, um einem deutschen Journalisten den Sinn dieses Tests zu verdeutlichen: Schließlich könnte auf einer einsamen schwedischen Straße doch plötzlich mal ein solches Huftier mitten auf der Straße stehen, und was dann? Der Begriff macht in der deutschen Presse wie ein Lauffeuer die Runde und steht heute sogar im Duden.

Die Folge für Mercedes: eine Lawine von Hohn und Spott.

Die Zahl der Witze, die über das Elchtest-Debakel kursieren und der Wust an sarkastisch gemeinten Karikaturen sind bald unüberschaubar. Und als wäre die Stuttgarter Traditionsmarke mit ihrem Anspruch, Vorreiter in Sachen Fahrzeugsicherheit zu sein, nicht schon genug gebeutelt, stellt eine ostdeutsche Tageszeitung den Test mit einem Trabant 601 nach – der ihn prompt besteht. Nachdem Jürgen Hubbert, im Vorstand der damaligen Daimler-Benz AG für das Pkw-Geschäft zuständig, das Problem vor aller Öffentlichkeit eingestanden hat, sucht Mercedes fieberhaft nach einer Lösung. Köpfe rollen,

300 Millionen D-Mark werden für die technische Nachbesserung und eine gigantische Medienkampagne bereitgestellt.

Auch den neuen Smart, der kurz vor der Auslieferung steht, bessert Mercedes vorsichtshalber nach. Erst mit serienmäßigem ESP und weiteren Detailoptimierungen schafft die A-Klasse den Elchtest unbeschadet. Mercedes krempelt die komplette Produktion um und rüstet die frühen, seit Oktober 1997 schon ausgelieferten Modelle in eigens eingerichteten Service-Centern nach. Die Probe aufs Exempel macht schließlich der finnische Rallye-Profi Rauno Aaltonen: Er wirft den modifizierten Baby-Benz insgesamt 38-mal durch den Elchtest-Parcours, ohne dass er kippt. Auch Ex-Formel-1-Weltmeister Niki Lauda bestätigt nach weiteren Fahrtests publicityträchtig, dass die A-Klasse jetzt endlich voll elchtesttauglich sei.

Vor dem Hintergrund dieses einzigartigen Pannenszenarios gerät eines ganz in Vergessenheit: dass die A-Klasse der bis dato womöglich innovativste Mercedes ist. Mercedes spricht gar von einer vollkommen neuen Fahrzeugkategorie, vor allem wegen der Sandwich-Bauweise des W 168.

Die Aggregate sind in Unterflur-Anordnung in einem Zwischenboden untergebracht, denn Mercedes denkt bereits über den Einsatz von Brennstoffzellen- und Elektroantrieben nach. Was Variabilität, Raumgefühl und Sicherheit betrifft, erntet die A-Klasse allenthalben Lob. So gleitet etwa die komplette Antriebseinheit bei einem Frontalaufprall an der abgeschrägten Spritzwand entlang unter die Fahrgastzelle. Und dank der einzeln klapp- und ausbaubaren Sitze lässt sich das Kofferraumvolumen von 390 bis auf 1.740 Liter steigern.

Nur eines schafft der Baby-Benz nicht: jüngere Kunden für die Traditionsmarke zu begeistern, was Mercedes seit dem Vorjahr bereits mit dem brandneuen SLK versucht. Neben der A-Klasse feiern 1997 mit dem CLK und der M-Klasse gleich zwei weitere Modellreihen Premiere, die es bei Mercedes so noch nicht gegeben hat. Doch das Image der Rentnermarke bleibt hart wie eine Chromschicht an den Stuttgartern haften.

Auch bei der Öffentlichkeitsarbeit geht Mercedes im Vorfeld der A-Klasse-Weltpremiere auf dem Genfer Autosalon 1997 völlig neue Wege. Bereits auf der IAA 1993 sorgt die seriennahe Studie „Vision A 93“ als Ausblick auf eine völlig neue Fahrzeugkategorie mit Frontantrieb für Furore. In der Folgezeit füttert Mercedes die Öffentlichkeit kontinuierlich mit Details über die Entwicklungsfortschritte und die zahlreichen technischen Innovationen der neuen A-Klasse. Neuland betritt Mercedes zum Beispiel im Karosseriebau: Die vorderen Kotflügel und die Heckklappe bestehen aus Kunststoff, der leichte Kollisionen unbeschadet verkraftet und zur Gewichtseinsparung beiträgt. Die Sandwichbauweise macht es sogar notwendig, dass die Ingenieure völlig neue Benzin- und Dieselmotoren sowie neue Getriebe entwickeln.

So viel geballte Technik macht‘s möglich: Die Kunden halten der A-Klasse allen Unkenrufen zum Trotz die Treue. 2001 spendiert Mercedes ihr eine umfangreiche Modellpflege und führt die sogenannte Langversion mit um 170 Millimeter verlängertem Radstand ein. Bis Mai 2004 rollen im Mercedes-Werk in Rastatt fast 1,1 Millionen A-Klassen der Baureihe 168 vom Band, dann geht die nächste Modellgeneration an den Start. Und kein Elch hat sie je wieder in Schieflage gebracht.

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