Seebad und Künstlerdorf


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Wer reist, ist wohl immer ein wenig auf der Suche nach dem Geist eines Ortes – dem Genius loci. Man muss kein Goethe sein, um Stimmungen, Geschichte oder Zukunft an einem Ort zu spüren. Wer reist, mag von seinen Erlebnissen und Begegnungen berichten. Wer malt, vermag umso mehr die Sinne anzuregen und über seine Zeit hinaus, Momente festzuhalten, die zu Zeitreisen animieren.

Den Malerinnen und Malern, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert im einstigen Fischerdorf Ahrenshoop niederließen, ist das auf berührende Weise gelungen. Sie suchten zwischen Ostsee und Bodden, auf sandigen Wegen, an reetgedeckten Katen, in Landschaften voller weiter Himmel, glitzernder Meereswogen und in gegerbten Gesichtern nach Ursprünglichkeit im Kontrast zur modernen Welt der Großstädte und Fabriken. Indem sie hier malten, sollten sie das Dorf verändern und Anteil daran nehmen, es zu dem einzigartigen und faszinierenden Ostseebadeort von heute werden zu lassen. Vergessen sind diese Anfänge nicht. In diesem Jahr erinnert die Ausstellung „Licht, Luft, Freiheit“ im Kunstmuseum Ahrenshoop daran und feiert 125 Jahre Künstlerkolonie Ahrenshoop. Wer die Ausstellung verlässt, blickt verändert auf dieses Fleckchen Erde. Es sind nur wenige Schritte und schon steht man am Hohen Ufer, wo sich dem Auge ein unvergleichlicher Blick auf diese wandelbare Landschaft darbietet. Die Abbruchkanten verraten, wie kraftvoll das Meer hier wüten kann. Richtung Norden zeigt sich bei guter Sicht der Leuchtturm am Darßer Ort. Die silbergrauen Blätter des Sanddorns beleben die dichten Hecken am Wegesrand. Zum Herbst hin leuchten seine orangefarbenen, prallen Früchte wie Schmuckstücke. Einheimische wie Gäste pflücken sie mühevoll von den dornenbesetzten Zweigen. Aus den vitaminhaltigen Früchten machen sie Saft, Likör oder Marmelade.

Immer wieder finden Konzerte, Lesungen und Ausstellungen statt, wie etwa in der Galerie des Keramikers Friedemann Löber und seiner Frau Renate im Dornenhaus. Das idyllisch gelegene Rohrdachhaus ist mit seinen 350 Jahren das älteste Gebäude Ahrenshoops. In den 1950er-Jahren entwickelten die Eltern des Künstlers, Frida und Wilhelm Löber, sowie der Maler Arnold Klünder die freigeritzte Fischlandkeramik. Auf den blaugrauen Tassen, Vasen und Schalen sind Motive der Landschaft unverwechselbar eingefangen: Fische, Libellen, Kraniche, Windflüchter…

Im Sommer trifft man Malerinnen und Maler am Strand, zahlreiche Galerien laden zum ruhigen Betrachten ein, und in den Cafés inspirieren Kunstwerke zu einer unkomplizierten Begegnung mit Malerei, Schmuck, Skulpturen oder Keramik.

Beim Spaziergang durch den Ort lädt am Strandzugang Nr. 11 die Bunte Stube mit Büchern, Bernsteinschmuck und Allerlei kunstvollen Kleinoden zum Schauen und Stöbern ein. Vorbei am Lukashaus, der berühmten einstigen Malschule, Wohnhäusern früherer Malergrößen und zeitgenössischer Künstler weist ein Wegweiser zur Schifferkirche. Die Ahrenshooper Kirche ist der erste sakrale Nachkriegsbau in Mecklenburg-Vorpommern. Wie ein Boot, umgestülpt und an den Strand gezogen, liegt sie da. Am 14. Oktober 1951 hielt Pfarrer Wilhelm Pleß, Initiator des Kirchenbaus, den ersten Gottesdienst. Aus dem Holz einer Pappel, die dem Bau weichen musste, fertigte die ansässige Holzbildhauerin Doris Oberländer-Seeberg einst die Schrift für die Altarwand, die Kanzel mit den Symbolen der vier Evangelisten und einen Taufständer. Kraftvoll heben die Arme dreier Kinder die Taufschale in die Höhe. Alle Namen der hier Getauften werden in das Holz eingraviert.

Am herbstlichen Abend wandeln einsame Gestalten am Strand entlang. Über den Himmel ziehen tiefe Wolken. Stille. Erinnerungen. Als wenn die Bilder der Ahrenshooper Künstler zum Leben erwachten und die Geschichten der Fischer, Frauen und Kinder vom Küstenwind gesäuselt würden.

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