Reifenpannen: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit


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Die Pannenanfälligkeit des luftgefüllten Reifens hat seit seiner Erfindung 1888 durch John Boyd Dunlop die Konstrukteure der Industrie intensiv beschäftigt. Die einzige Problemlösung bestand lange Zeit in mehreren Reserverädern am Auto. Heute schleppt man vielfach noch immer ein Ersatzrad durch die Gegend, obwohl es laut einer Mercedes-Benz-Statistik im Durchschnitt nur alle 100.000 Kilometer gebraucht wird. Meist sieht das Ersatzrad während des gesamten Autolebens nie das Tageslicht, wird aber auch nicht gewartet und mit dem korrekten Druck gefüllt. Es beansprucht Platz im Auto und verursacht ein spürbares Mehrgewicht, es erhöht damit den Kraftstoffverbrauch und kostet Geld.

1_Reifenpanne_Familie_Conti

Generationen von Reifenentwicklern waren deshalb sehr kreativ, um Pannenmobilität auch ohne Reserverad zu erreichen. Diese Innovationen waren allerdings meist wenig praxisgerecht, sie konnten sich nicht durchsetzen. Inzwischen sind viel versprechende und praxistaugliche Notlaufkonzepte mit Pannenmobilität lieferbar. Fachleute der Automobil- und Reifenindustrie erwarten, dass sie den Markt und das Verbraucherverhalten verändern, wobei das antiquierte Reserverad bald weitgehend ausgedient haben soll.

Die heute angebotenen Problemlösungen für die Mobilität nach der Reifenpanne:

Konventionelles Reserverad

Vorteil: Nach dem Radwechsel weiterfahren (sofern der Fülldruck im Ersatzreifen korrekt ist).

Nachteil: Etwa 30 Kilo Mehrgewicht im Auto (Spritverbrauch höher), verlangt viel Stauraum, mitunter entspricht die Fahrbereifung in Format und Ausführung nicht dem Reserverad, Probleme bei unterschiedlichen Dimensionen vorne/hinten, regelmäßige
Fülldruckkontrolle erforderlich, muss sofort
nach dem Defekt am Straßenrand montiert werden.

2_Standardreifen_platt

Plattfuß: Der konventionelle Reifen wird gequetscht.

Minispare-Notrad

Vorteil: Schmaler als die Fahrbereifung, deshalb platzsparend, weniger Gewicht.

Nachteil: Muss sofort montiert werden (wohin mit dem abmontierten Rad?), regelmäßige Fülldruckkontrolle erforderlich, erlaubt nur 80 km/h bis zur Werkstatt.

5_Minispare

Falt-Notrad

Vorteil: Das Spacemaster-Rad ist kleiner als die Fahrbereifung, deshalb platzsparend.

Nachteil: Muss mit Luft befüllt und sofort montiert werden (wohin mit dem abmontierten Rad?), Kompressor erforderlich, erlaubt nur 80 km/h bis zur Werkstatt.

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Reparaturset

(Dunlop Fill&Go und ContiComfortKit).
Vorteil: Sehr kompakt, deshalb besonders platzsparend, wenig Gewicht.

Nachteil: Deutlich größere Schäden als ein Durchstich (Nagel) in der Lauffläche lassen sich mit dem Reparaturset nicht verschließen. Kompressor und Arbeit am Straßenrand erforderlich, erlaubt nur 80 km/h zur Werkstatt.

7_Reparaturset_klein

Runflat-Reifen

Vorteil: Kein Stauraum erforderlich, keine
Montage, bei Druckverlust (Fülldruckkon‑
trolle ist immer an Bord) kaum Beeinträchtigung der Fahrstabilität (Sicherheitsplus), auch bei völligem Druckverlust Weiterfahrt möglich.

Nachteil: Etwas schwerer als Standardreifen, erlaubt nur eingeschränkte Fahrstrecke mit 80 km/h.

Welches Angebot halten Sie für die günstigste Lösung? Eine sehr persönliche Frage, die aber auch beim Neuwagenkauf interessant wird, denn mitunter sind (oft gegen Aufpreis) Alternativen zum heute schon weit verbreiteten Reparaturset im Angebot.
Neu hinzu kommt eine Reifenvariante wie der Conti Seal (früher Kléber Protectis), der bislang bei VW in der Erstausrüstung ab Werk offeriert wird.

3_BridgestoneRFT_platt

Auch drucklos noch fahrfähig, keine Sofort- Montage.

Das Seal-System ist gewissermaßen ein Pannenverhinderer

Es ermöglicht trotz eingedrungener Fremdkörper die Weiterfahrt: Eine Schutzschicht auf der Innenseite des Reifens dichtet die beim Eindringen von Schrauben und Nägeln entstehenden Löcher sofort ab. So kann keine Luft entweichen. «Die Abdichtung funktioniert bei nahezu allen Undichtigkeiten, die von Gegenständen bis zu fünf Millimeter Durchmesser hervorgerufen werden», erläutert ein Conti-Experte.

«So können rund 85 Prozent der üblicherweise auftretenden Reifenpannen abgedeckt werden.» Aber eben nicht hundert Prozent. Ein weiterer Nachteil ist das etwas höhere Reifengewicht und die (theoretische) Gefahr, dass Fremdkörper unbemerkt bleiben, wobei im Stichkanal Wasser bis zum Stahlgürtel vordringen kann, der dann rostet und einen Totaldefekt auslöst.

Wesentlicher Vorteil bei Runflat-Reifen mit Notlaufeigenschaften ist zunächst ein erheblicher Zuwachs an Sicherheit, wenn unterwegs Reifendefekte auftreten.

8_ContiSeal_mit_Nagel

ContiSeal: Eine Gelschicht im Reifeninneren dichtet ab.

Tatsächlich bleibt bei schleichendem oder plötzlichem Druckverlust das Auto mit den angebotenen Notlauf-Pneus deutlich fahrstabiler als mit herkömmlichen Produkten, denn die Runflat-Reifen sind, wie ihr Name andeutet, auch im platten Zustand fahrbar. Zudem sitzt der Reifenwulst ziemlich sicher auf der Felge, der Reifen wird nicht innerhalb kurzer Zeit völlig zerstört. Für den Autofahrer entfällt bei Reifenpannen zudem die Montage am gefährlichen Straßenrand: man fährt einfach weiter.

In jedem Fall liefert der Verzicht auf das Reserverad (auch auf Noträder, wie das kleine Faltrad Spacemaster oder das schmale Minispare) für den Fahrzeugkonstrukteur die Möglichkeit, das Karosserie-Package zu optimieren und wertvollen Platz zu gewinnen, für den größeren Tank, mehr Stauraum oder beispielsweise die Unterbringung von Batterien (Hybridantrieb).

Der ADAC hat vor Jahren verschiedene Notlaufreifen getestet, Fazit: «Der ADAC hält die neuartigen Reifen, die zurzeit noch rund 25 Prozent mehr kosten, für einen Meilenstein in der Geschichte der Reifenentwicklung. Die Automobilhersteller sind deshalb gut beraten, bei der Ausstattung von Neuwagen diese Technik möglichst schnell einzusetzen.» Das serienmäßige Runflat-Angebot von BMW ist ein weiterer Hinweis darauf, dass selbsttragende Notlaufreifen auch den Anforderungen von Großserien-Automobilherstellern genügen.

Die Szene ist in Bewegung, die Notlaufkonzepte sind praxistauglich und das gemeinsame Ziel aller Beteiligten wird konsequent weiterverfolgt, ob man das mag oder nicht: das Ende des Reserverades nach 125 Jahren Automobilbau.

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