Heiligendamm:


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Spätestens seit dem G8-Gipfel und dem extragroßen Strandkorb für die angereisten Staatschefs kennt die Welt das Seebad Heiligendamm. 1793 hat Friedrich Franz I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin, das älteste Seebad Deutschlands gegründet. Er ging hier auf Anraten seines Leibarztes baden und logierte wenige Kilometer entfernt den Sommer über in seiner Residenz in Doberan, nahe an der alten Klosterkirche mit den Gräbern seiner fürstlichen Vorfahren. In England war das längst Mode, sodass es höchste Zeit wurde, auch an Deutschlands Küsten dem eleganten Badeleben zu frönen.

Die Wahl des Küstenstreifens war nicht zufällig. Der Damm, wie ihn die Einheimischen nennen, ist ein durch die Brandung aufgeschütteter Steinwall. Man meint, er schütze die dahinter liegende Küste. Das Ufer ist bis weit hinaus ins Meer recht flach. Von der Landseite rahmt der aus zahlreichen Buchen bestehende Wald die kleine Bucht ein.
Die Baumeister und Architekten entwarfen und gestalteten ein elegantes Ensemble, das durch antike Tempel, mittelalterliche Burgen und klassizistische Palais inspiriert ist. Das Kurhaus mit seiner dorischen Säulenvorhalle gleicht wahrlich eher einem griechischen Tempel als einem Gesellschaft-, Tanz- und Speisehaus. Faszinierend ist der aufwendige Fassadenschmuck: griechische Sagengestalten als weiße Stuckreliefs auf Lapislazuli-Blau.
Den besten Ausblick auf die Häuser bietet die Seebrücke. Ein weit ins Meer reichender Steg bietet den Ausflugsbooten Platz zum Anlanden, den Badegästen zugleich eine Flaniermeile mit traumhafter Aussicht aufs Meer und das Seebad. Vor hundert Jahren war die Seebrücke viel größer und beherbergte einen Pavillon. Friedrich Franz genoss das Leben hier. Übrigens galt zur Zeit des Fürsten bei Tisch nicht das strenge Hofprotokoll. Wer früh anreiste, konnte umso näher beim Gebieter Platz nehmen. So erklärt es noch Fontane in seiner 1875 erschienenen Reisesammlung »Briefe aus Mecklenburg«. Was müssen das für Szenen am fürstlichen Anreisetag gewesen sein? Kutschen, Lakaien, Unmengen von Koffern und dazwischen die Höflinge, Minister und vielleicht auch Bürgerliche?
Auch für eine weitere adelige Leidenschaft, das Pferderennen, entstand bald eine gut ausgebaute Rennbahn. Sie wurde 1823 eröffnet, als erste auf dem Kontinent. Hier siegten die Basedower Renner, eine berühmte mecklenburgische Züchtung.
Was Jane Austen, die berühmte englische Schriftstellerin, da in einem Brief am 25. September 1813 über Mecklenburg schrieb, klingt dagegen wenig erfreulich. Der Brief war an ihren Bruder, den Marineoffizier Frank Austen adressiert. Er wird ihr in seinem vorangegangenen Brief über die Seebäder an Mecklenburgs Küsten berichtet haben. Jane Austen konnte es kaum fassen und war irritiert durch »die bloße Idee eines modischen Badeorts in Mecklenburg!«. „Wie können Leute außerhalb Englands sich einbilden, sie könnten die neueste Mode mitmachen oder baden!“, heißt es da.
Wie schade, denn wenn sie Heiligendamm selbst kennen gelernt hätte, wäre ihr Urteil sicher anders ausgefallen. Folgten die Mecklenburger zwar der englischen Mode, waren sie in diesem Fall jedoch anderen Regionen voraus. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zum englischen Königshaus haben diesen Kulturtransfer sicher befördert. Eingebettet in eine zauberhafte Küstenlandschaft liegt der Ort im Schnittpunkt von Wasser, Wald und Wind. Noch heute vereint es unterschiedliche Ideen von Schönheit in Natur und Architektur. Brighton und Biarritz mögen größer und prominenter sein, doch Heiligendamms Charme überzeugt.
Umbrüche, Wirren der Zeit zerstörten die Fassaden, in beiden Weltkriegen entstand ein Lazarett, aus weiß wurde schwarz, um Luftangriffen zu entgehen, Flüchtlinge fanden Schutz, ein Sanatorium und eine Fachhochschule für angewandte Kunst zogen ein. Dornröschen schlief – und wurde wachgeküsst. 2003 öffnete das Grand Hotel Heiligendamm seine Pforten. Übrigens liegt ein Findling, einer der großen, durch die Eiszeit ins Land transportierten Gesteinsbrocken, in der Nähe des Grand Hotels. Mit einer Inschrift erinnert er an die Gründung durch Herzog Friedrich Franz I. Der berühmte Georg Adolph Demmler hatte die Aufgabe, den Transport des 220 Tonnen schweren Granitsteins von der etwa elf Kilometer entfernten Fundstelle zu organisieren. Er klagte, dass es das »schwierigste Geschäft« seiner ganzen Dienstzeit gewesen sei. Wer hätte das gedacht?

Fotos Editha Weber

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