Alles unter Kontrolle: Neues vom Reifenmarkt


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Reifen werden vom Autofahrer meist nur als Kostenfaktor wahrgenommen. Dabei bemüht sich die Reifenindustrie konstant und mit hohem Aufwand um die Verbesserung ihrer Produkte. Die Performance von Sommerreifen lässt sich bei der Messung der Bremsverzögerung gut verdeutlichen.

Laut Continental verkürzte sich der Bremsweg vergleichbarer Reifen auf trockener Fahrbahn zwischen 1975 und 2000 von 55 auf 36 Meter, bei Nässe von 85 auf 65 Meter (Ausgangs-geschwindigkeit 100 km/h). Zudem gehen die Continental-Experten in Forschung und Entwicklung davon aus, dass die Verzögerungswerte bis 2015 um weitere 15 Prozent reduziert werden können. Dieses Beispiel dokumentiert beeindruckende technische Verbesserungen, die sich direkt in mehr Fahrsicherheit niederschlagen. Um dieses Potenzial im Alltag voll verfügbar zu haben, bedarf es allerdings einiger Voraussetzungen. Dazu gehört ein ausreichendes Restprofil der Sommerreifen von mindestens drei Millimeter, aber auch ein korrekter Reifenfülldruck.

Wie es in der Praxis um den Zustand von Reifen bestellt ist, zeigen die jährlichen Meldungen zum Thema, etwa bei den Hauptuntersuchungen der KÜS-Prüfingenieure. Bei insgesamt 2,7 Millionen Hauptuntersuchungen 2013 wurde in mehr als 31.000 Fällen allein die unzureichende Profiltiefe reklamiert, hinzukommen weitere 71.000 Reifenmängel wie Alterungsrisse, Beschädigungen oder falsche Dimension. Bei einer europäischen Untersuchung stellte Bridgestone fest, dass 78 Prozent der geprüften Reifen mit zu geringem Fülldruck unterwegs waren.

Konsequenz: Hochgerechnet auf den Fahrzeugbestand in Europa sind das Millionen von Autos, die zu viel Sprit verbrauchen und ihre Reifen frühzeitig verschleißen.

Angesichts derart deprimierender Zustände hat die zuständige EU-Kommission, immer bemüht um unser Wohlergehen und die Senkung der Unfallzahlen, die obligatorische Einführung von Reifendruck-Kontrollsystemen bei Neufahrzeugen ab 1.11.2014 beschlossen. Grundlage dafür ist die EU-VO 661/2009. Es ist damit zu rechnen, dass bereits im Laufe des Jahres ausgelieferte Neuwagen serienmäßig über die Druckwächter verfügen. Die Reifendruck-Kontrollsyteme (RDKS), auch Tire Pressure Monitoring System (TPMS) genannt, gibt es in zwei technisch völlig unterschiedlichen Ausführungen. Fachleute sprechen von direkt und indirekt messenden Druckkontrollen. Die Funktion beider Systeme ist letztlich identisch: Eine Warnleuchte und/oder ein Signalton machen auf den Druckverlust an einem oder mehreren Reifen aufmerksam.

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Auf dem europäischen Markt neu eingeführt werden serienmäßige Reifendruck-Kontrollsysteme für alle Pkw.

Die indirekt messenden Systeme sind vergleichsweise kostengünstig und mit wenig Aufwand verbunden. Für die Messung bedient man sich der ohnehin vorhandenen ESP-Raddrehzahlsensoren nach dem Prinzip, dass bei nachlassendem Fülldruck der Reifen stärker einsinkt und damit der Raddurchmesser kleiner wird. Die vom Steuergerät ständig überwachte Raddrehzahl ändert sich, das Rad dreht schneller. Bei etwa 20 Prozent Druckverlust gibt das Steuergerät eine Warnung aus, auf dem Display im Armaturenbrett wird auch erkennbar, welches Rad betroffen ist.

Bei direkt messenden Systemen werden Sensoren für Druck und Temperatur bislang in der Felge befestigt, meist in Verbindung mit Metallventilen. Diese Module werden von einer kleinen Batterie gespeist (Lebensdauer etwa sieben Jahre), die auch den Sender versorgt, der die Daten ins Fahrzeug funkt. Die Daten sind am Display im Armaturenbrett ablesbar. Werden problematische Bereiche erreicht, erfolgt eine Warnung. Neue Räder, beispielsweise mit Winterbereifung, müssen ebenfalls mit passenden RDKS-Modulen bestückt werden. Dies verteuert natürlich den Räderwechsel, mancher Autofahrer würde deshalb auf die Module gerne verzichten, die Fülldruck-Kontrolle wäre damit aber ohne Funktion. Sofern es sich um ein Auto handelt, das nach dem 1. November 2014 zugelassen wird, ist das RDKS-System auf jeden Fall Teil der Fahrzeugzulassung und darf deshalb nicht abgeschaltet werden. Bei der Hauptuntersuchung würde das als Mangel beanstandet (siehe Kasten).

Völlig neue Perspektiven zeichnen sich bei der künftigen direkt messenden RDKS-Generation ab, mit deren Einführung in naher Zukunft zu rechnen ist. Die Baugröße des Radelektronik-Moduls schrumpft deutlich und es wird in den Reifen integriert oder an der Innenseite befestigt. Continental hat angekündigt, dass noch in diesem Jahr klebbare Universalsensoren angeboten werden, die für verschiedene RDKS-Systeme passen.

Künftig will man die Reifenelektronik von außen mit Energie versorgen, die heute üblichen Modulbatterien sollen überflüssig werden. Dieses Konzept steht sowohl für die Anwendung beim Pkw als auch beim Lkw zur Verfügung. Die Elektronik-Module im Reifen sind in der Lage, auch zusätzliche Daten zu generieren. Geplant ist beispielsweise reifenspezifische Informationen, wie Produktionsdatum, Montagedatum, Reifentyp und eine Produktnummer abzulegen. Vorgesehen ist auch die Erfassung der Daten über die Reifenbelastung, die Restprofiltiefe oder Schlupf und Seitenkraft. Der damit definierte Reifen- und Fahrbahnzustand ermöglicht es die Regelungen wie ABS, ASR und ESP sehr viel präziser zu steuern, als dies mit der bisherigen Sensorik möglich ist – ein deutlicher Gewinn für die Fahrsicherheit.

Als Assistenz-Funktion soll über die Reifendrucksensoren künftig auch der Beladungszustand erkannt, bewertet und im Display angezeigt werden. Vor der Urlaubsfahrt wird damit nach wenigen hundert Metern gemeldet, ob die maximale Zuladung des Fahrzeugs erreicht oder gar überschritten ist, zudem wird der passende Reifenfülldruck angemahnt. Elektronik macht’s möglich.

Kommentar zur Bemängelung bei der HU

Thomas Schuster, KÜS-Prüfingenieur

Reifen mit zu niedrigem Luftdruck walken mehr, wodurch sie sehr stark erhitzen können. Im Extremfall kann ein Reifen dadurch sogar platzen! Die Fahrdynamik des Fahrzeugs wird ebenfalls durch den Reifenfülldruck beeinflusst, weswegen auch immer wieder auf die Wichtigkeit einer ständigen Kontrolle in diesem Bereich hingewiesen wurde. Die Verpflichtung zu einem Reifendruck-Kontrollsytem war hier der richtige Schritt in Richtung Verkehrssicherheit.

Bei der Hauptuntersuchung musste bisher eine Unkorrektheit im Bereich des Reifenfülldrucks nur dann in den Mangelbericht aufgenommen werden, wenn bei der Inaugenscheinnahme des Fahrzeugs Fehler offensichtlich werden. Ein platter Reifen wurde somit auch schon jetzt als geringer Mangel geführt. Mängel im Bereich der bereits optional verbauten Reifenkontrollsysteme sind ebenfalls in den gesetzlichen Vorgaben der Mangelrichtlinie vorgesehen und sind zu dokumentieren, führen allerdings auch noch nicht zur Verweigerung der Plakette.

Für Fahrzeuge, die nach dem 1.11.2013 homologiert wurden oder nach dem 1.11.2014 neu zugelassen werden, ist noch keine Vorgabe im allgemein gültigen Mängelkatalog eingeflossen. Es ist damit zu rechnen, dass ein System, das zur Erhöhung der Verkehrssicherheit vorgeschrieben wurde, dann auch bezüglich der Einstufung hochgestuft wird und mit einem „Erheblichen Mangel“ zu bewerten ist.

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