Zurück zum Führerschein: Interview mit MPU-Expertin Katrin Aydeniz


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Der Volksmund spricht vom «Idiotentest», wenn die Medizinisch-Psychologische Untersuchung, kurz MPU, gemeint ist. Wer bis Ende der 80er-Jahre den Führerschein gemacht hat, erinnert sich wohl noch an die Androhung, dass, wer dreimal durch die Prüfung fällt, zum «Idiotentest» muss. Allerdings wurde diese Regelung schon zur Jahrtausendwende abgeschafft. In erster Linie werden seitdem betroffene Verkehrsteilnehmer mit sehr viel Alkohol oder Drogen im Blut zur MPU aufgefordert. Autofahrer, die nach massiven Alkohol- oder Drogenkonsum bei einer Fahrt mit dem Fahrrad gestoppt werden, müssen ebenfalls zur MPU. Anhand des Gutachtens wird anschließend entschieden, ob die Fahrerlaubnis entzogen wird. Ludwig Mario Niedermeier sprach für KÜS Magazin mit Katrin Aydeniz vom «Institut für medizinisch-psychologische Unternehmensleistungen und Schulungen» in Köln über MPU-Gutachten und die trügerischen Geschäfte mancher verheißungsvollen Anbieter der vom Autofahrer gefürchteten Branche.

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Frau Aydeniz, welche Verkehrsteilnehmer müssen zur MPU, wie funktioniert der Test und weshalb ist die Durchfallquote so hoch?

Im Wesentlichen unterscheiden wir drei Anlassgruppen bei der MPU: Diejenigen, die mit über 1,6 Promille ein Fahrzeug geführt haben oder die wiederholt alkoholisiert gefahren sind; diejenigen, die Betäubungsmittel konsumiert oder unter Drogeneinfluss ein Fahrzeug geführt haben und diejenigen, die verkehrs- oder strafrecht-lich aufgefallen sind, also z. B. wiederholt zu schnell gefahren sind, eine Rotlichtanlage missachtet, im Überholverbot überholt, während der Fahrt ein Mobiltelefon benutzt, den angemessenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten, Fahrerflucht begangen haben oder ohne Fahrerlaubnis gefahren sind.

Alle Betroffenen durchlaufen bei einer MPU drei Prüfungsbereiche: die medizinische Untersuchung, einen psychophysischen Leistungstest und das psychologische Gespräch. Im Rahmen der ärztlichen Untersuchung wird die körperliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges überprüft. Zentral ist dabei die Fragestellung, ob ein Substanzmissbrauch ausgeschlossen werden kann.

Bei den psychophysischen Leistungstests werden am Computer komplexe Reizsituationen simuliert, um die Reaktionssicherheit und -schnelligkeit in Analogie zum Fahrverhalten zu kontrollieren. Im psychologischen Gespräch muss der Betroffene glaubhaft und nachvollziehbar schildern, wie es zu der Auffälligkeit gekommen ist, welche persönlichen Hintergründe dazu geführt haben, welche konstruktiven Verhaltensänderungen als stabil angenommen werden können und wie er für die Zukunft sicherstellen kann, nicht erneut auffällig zu werden.

Die Durchfallquote bei der MPU beträgt laut Angaben des Bundesamtes für Straßenverkehrswesen (BASt) aus dem Jahr 2009 36%, positive Beurteilungen erfolgen zu 51%, und in 13% der Fälle empfiehlt der Gutachter eine Nachschulung gemäß § 70 der FeV (Fahrerlaubnisverordnung), weil Restbedenken bestehen, von denen allerdings angenommen wird, dass sie durch eine Teilnahme an einem evaluierten Kursmodell ausgeräumt werden können.

Der größte Teil der Negativ-Begutachtungen ist darauf zurückzuführen, dass diese Kunden unvorbereitet zur Begutachtung gegangen sind und nicht genau wussten, worum es bei der MPU eigentlich geht: nicht um die rein verbale Zusicherung, in Zukunft immer «vernünftig» fahren zu wollen, sondern um den Zusammenhang zwischen den Auffälligkeiten und der eigenen Persönlichkeit, der eigenen individuellen psychischen Situation.

Der Kunde muss die Frage beantworten können, warum ausgerechnet er so reagiert hat, wie er es getan hat.

Weil sich aber die wenigsten Menschen schon mit der Frage beschäftigt haben, warum sie so sind, wie sie sind, scheitern die meisten fahrauffälligen Fahrer in der MPU am psychologischen Gespräch.


Was sind die häufigsten Gründe für Eignungszweifel?

Laut BASt entfielen im Jahr 2009 etwa 30% der Gutachten auf erstmalige Alkoholauffälligkeiten, 17% auf wiederholte Trunkenheitsfahrten und 7% auf Alkoholauffälligkeiten im Zusammenspiel mit Verkehrsauf- bzw. Straffälligkeiten. D. h. bei mehr als der Hälfte (57.600) aller MPU (gesamt 106.082) sind die Eignungszweifel auf Alkoholüberkonsum und die Trennungsunfähigkeit zwischen Trinken und Fahren zurückzuführen. 19% absolvieren eine MPU wegen Drogen- oder Medikamentenauffälligkeiten und 15% wegen rein verkehrsauf- bzw. straffälligen Verhaltens. Bei Fahreignungszweifeln ist eine langfristige psychologische Rehabilitation notwendig, um Verkehrssicherheit auf Dauer sicherzustellen.


Bevor die Betroffenen wieder in Fahrt kommen, sind fünf Schritte notwendig: Information einholen, Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis, Terminvereinbarung, Begutachtung, Vorlage des Gutachtens. Wie sieht dieser Ablauf in der Praxis aus?

Das Hauptproblem ist, dass viele Betroffene erst sehr spät erfahren, dass sie eine MPU machen müssen. Nur wenige erkundigen sich unmittelbar nach ihrer Auffälligkeit, wie das weitere Prozedere vonstatten geht und wie sie die Sperrfrist sinnvoll für die Aufarbeitung der Auffälligkeit nutzen können. Als Folge stehen sie erst am Ende ihrer Sperrfrist, wenn der Führerschein schon in greifbarer Nähe scheint, plötzlich vor der «Hürde MPU».

Einige riskieren dann einfach eine Begutachtung und hoffen auf einen positiven Ausgang.

Andere versuchen in der Kürze der Zeit eine MPU-Vorbereitungsmaßnahme zu absolvieren, um ihre Bestehenschancen zu erhöhen. In beiden Fällen ist allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die MPU negativ ausfallen wird, weil die Zeit der Sperrfrist nicht genutzt wurde, um die persönlichen Anteile an der Auffälligkeit zu erkennen, aufzuarbeiten und eine stabile Verhaltensänderung zu erwirken.

Denn das Kernthema ist immer, dass der Fahrer sich konsequent mit dem eigenen Verhalten auseinandersetzen und Wege finden muss, dieses Verhalten in den Griff zu bekommen. Das sind langfristige Prozesse, nicht Einmal-Aktionen.


Es gibt für substanzgebundene- und punkteauffällige Fahrer gezielte MPU-Vorbereitungsprogramme. Wie sieht so etwas konkret aus?

Unmittelbar nach der Auffälligkeit sollten sich die Betroffenen möglichst im Rahmen eines kostenfreien Informationsabends ganz allgemein über den Ablauf und Details einer MPU erkundigen. Seriöse Vorbereitungsinstitutionen und «Begutachtungsstellen für Fahreignung» bieten diesen Service regelmäßig an. Stattdessen kann man allerdings auch direkt ein individuelles MPU-Beratungsgespräch bei einem Verkehrspsychologen in Anspruch nehmen, um eine professionelle Einschätzung darüber zu bekommen, wie schwer die Problematik wiegt, die zur Abhängigkeit führte.

Das ist deshalb so wichtig, weil z. B. die Verkehrsmediziner im Rahmen der MPU bei Substanzgebrauch (Drogen, Alkohol) Abstinenznachweise über einen unterschiedlich langen Zeitraum fordern, wenn es sich entweder um eine Gefährdung handelt oder aber um einen fortgeschrittenen Missbrauch. Darüber hinaus können die Betroffenen erfahren, ob sie psychologischerseits bereits ausreichend reflektiert sind und gravierende Veränderungen verinnerlicht haben oder, ob sie sich mithilfe einer verkehrspsychologischen Maßnahme auf die MPU vorbereiten sollten.

In diesem Fall ist es dann tatsächlich ausgesprochen wichtig, an die richtige Vorbereitungsinstitution zu gelangen, um optimal und individuell passgenau betreut zu werden.

Die meisten Menschen auch mit gravierenden Fahrauffälligkeiten haben die Verkehrsregeln und die Fahrzeugbedienung gelernt. Verkehrsverstößen liegt dann keine Unwissenheit, sondern etwas anderes als Ursache zugrunde.


Was macht eine seriöse MPU-Vorbereitung aus, mit der eine stabile Verhaltensveränderung des Verkehrsteilnehmers bewirkt werden kann?

Es ist wichtig, dass der Betroffene im Vorfeld kostenfrei die Möglichkeit bekommt, den Verkehrspsychologen kennenzulernen, mit dem er ggf. arbeiten wird. Gerade bei psychologischen Prozessen ist es besonders wichtig, dass die Chemie untereinander stimmt.

Außerdem ist darauf zu achten, dass die Arbeitseinheiten eher von kurzer Dauer sind (z. B. 2 bis 3 Stunden), und dass sich das gesamte Programm über mehrere Monate mit mehreren Therapiesitzungen erstreckt.

Zum Teil über Jahre hinweg aufrecht erhaltene destruktive Verhaltensmuster lassen sich nicht in aller Schnelle korrigieren.

Als besonders effizient haben sich Maßnahmen herauskristallisiert, die sich aus Einzel- und Gruppensitzungen zusammensetzen, um dem vertrauensvollen Aspekt im diskreten Raum gerecht zu werden und gleichzeitig den sozialen Aspekt in der Gruppe erleben zu können. Hilfreich ist darüber hinaus eine offene Gruppenstruktur, d. h. eine Gruppe, in der erfahrene mit unerfahrenen Teilnehmern zusammentreffen, so dass die Betroffenen voneinander lernen.

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