Welcome to the hell … Island, abseits der Pauschaltouristen


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Island? War da nicht im Frühjahr 2010 dieser seltsame Aschevulkan, der Flugpläne und Gewinne der großen Airlines gehörig eindampfte? Kommen da nicht auch die Ponys her? Und diese heißen Springbrunnen, die Touristen bisweilen fürchterlich erschrecken?

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Island also, das vom 66. Breitengrad fast mittig durchzogen und im Norden vom Polar-kreis mitbestimmt wird. Das Land zwischen Gletschern und Vulkanen, zwischen Felsen und Flüssen, zwischen Himmel und Meer. Eine Insel ohne Atom- und Kohlekraftwerke. Heißer Dampf aus den Tiefen des Gesteins heizt Häuser und Schwimmbäder, treibt Turbinen zur Stromerzeugung an. Davon können wir hier auf Europas Festland nur träumen. Die Winter sind lang, dauern 9 Monate, so lange, wie ein Mensch benötigt, um zu werden. Früher sorgte der «Schwarze Tod» für eine Regulierung der Bevölkerungszahlen.

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Das war ein hochprozentiger Kartoffelschnaps, der erst blöd, dann blind, dann tot machte.

Eine Ringstraße von etwa 1.500 Kilometern führt ausgefranst um das Eiland. Für uns uninteressant. Wir hatten uns vorgenommen, eine West-Ost-Durchquerung mit geeigneten Allradlern zu versuchen. «Direttissima» auch noch. Soll heißen, möglichst auf dem 66. Breitengrad entlang die kürzeste Linie zu finden vom westlichen Borgarnes bis zum urgewaltigen Gulfoss-Wasserfall.

Die einheimische Firma «Arctic Trucks» hatte unsere Geländegänger fit gemacht für das große Abenteuer. Höherlegung um gut 15 Zentimeter, fette 38-Zoll-Gummis von Dick Cepek aus USA, groß wie Räder von Passagierflugzeugen. Und mit 2 Ventilen proRad: eines zum schnellen Ablassen des Luftdrucks, ein zweites zum langsamen Wiederaufpumpen mit dem Bordkompressor. Warum das Ganze: später noch. Jedenfalls die Basis für die Furchtlosen.

Wir setzten also irgendwo an der heftig ausgefransten Westküste den Blinker rechts und waren weg vom gemütlichen Asphalt. Fortan nur noch scharfkantiges Lavagestein, schwarzer Vulkanstaub und Wasserdurchfahrten ohne Ende. Kurs Ost war angesagt, wegen des Breitengrads. Nieselregen begleitete uns, ging auch mal in Schauer über. Die breiten «Cepeks» bewahrten uns vor dem Einsinken. Dann die Stimme von Daddi, einem Eingeborenen, der uns über CB-Funk Tricks und Tipps gab: «Welcome to the Hell.» Willkommen in der Hölle. Diese etwas makabre Begrüßung verhieß Nervenkitzel, vielleicht auch Probleme, auf jeden Fall führte sie bei uns zu ausgesprochen besonnenem Fahrstil. Bloß kein Harakiri! Keinen Helden spielen, das geht garantiert schief.

Es gibt auf der Insel Verkehrszeichen, die hast du noch nie gesehen, umso mehr sollte man sie beachten und respektieren. 10 Meter vor den Flüssen, durch die man durch muss. Für den Notfall begleitete uns Vilhjalmur Jonsson, der 1997/98 für eine wissenschaftliche Expedition als Erster überhaupt die komplette Antarktis mit seinem Urvieh von LandCruiser durchmaß. Der Mann für alle Fälle. Schweigsam, kompetent, 140 elastische Kilo.

Das erste Nacht-Camp erwartete uns im Regen, wir fielen nach 8 Stunden Fahrt wie nasse Säcke in den Tiefschlaf.

Sieben Grad plus ließen uns gar fröhlich den nächsten Tag beginnen. Nieselregen.

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Daddi kündigte den Tag als «Königsetappe» an. Mehr nicht.

Es sollte noch um zwei Härtegrade schwieriger kommen. Zwischen erloschenen Vulkanen hatten sich über Jahrmillionen diewasserreichen Flüsse tief ins Gestein geschürft. Grauenvoll eng, eine Handbreit nur bis zum Karosserieeinschlag, unter uns Wasser mit unbekannten Untiefen. Blanker Horror. Permanenter Allradantrieb in der Untersetzung für noch mehr Drehmoment, keine heftigen Lenkbewegungen. Dann steil raus aus der Enge ins leicht begrünte Landesinnere. Eine gigantische Ebene, flach, flott zu fahren, aber hochkonzentriert.

Dann sahen wir ihn am Firmament im Osten: den Langjökull-Gletscher, aus der Ebene flach aufsteigend in eine gigantische Eiswüste ohne sichtbares Ende. Nahtlos gingen Eis und Himmel ineinander über. Luft rauslassen aus den dicken Pneus. Von knapp 3 bar auf unfassbare 0,3 bar. Das erhöht die Reifenaufstandsfläche auf dem mit nassem, softigem Schnee bedeckten Eismeer. Trotzdem wollten die 4 Räder ständig einsinken, also war auch Wahnsinnstempo um die 50 km/h angesagt. Unsere Rücken wurden feucht, Perlen bildeten sich auf Oberlippe und Stirn: Welch ein Hype, sich diese sogenannte Königsetappe anzutun. Die Hoffnung auf ein nahes Ende der Gletscherpartie zerstob im Schnee. Ein Kollege hatte es zu toll getrieben, wollte im flotten Slalom um die teils offenen Gletscherspalten herumsurfen. Da sprang kurz und bündig der Gummi von der Felge. Aus erstmal.

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Eine Radreparatur auf 800 Meter dickem Eis und im klaftertiefem Nassschnee ist eine besondere Übung, der man gewachsen sein sollte.

Wir erreichten irgendwann nach gefühlten 3 Tagen den höchsten Punkt des Eisberges: 1.365 Meter zeigte der Höhenmesser an. Ab nun ging es nur noch bergab. Die Einsamkeit kann man hier hören, wo sich nächtens Trolle, Feen und Gnome zum Date treffen. Sturm setzte ein und beutelte selbst unsere Zweitonner wie Schiffe in schwerer See. Kurs halten war keine Leichtigkeit. Der Mund war trocken, der Rücken feucht, wie weit ist die nächste menschliche Siedlung entfernt, was erwartet uns noch auf dieser schaurig schönen Insel?

Eine Schlafsacknacht später: Wir setzen Kurs Süd-Ost Richtung Gulfoss-Wasserfälle. Die Niagaras in USA sind zwar höher, aber nicht so breit. Hier siehst du einen wesentlichen Teil isländischer Schöpfungsgeschichte: Die Erde macht, was sie will und muss. Das Toben und Brüllen der riesigen Wassermassen macht dich taub und du fliehst nach 10 Minuten. Über Asche- und Schotter-Trails wird’s etwas ruhiger um uns. Dann, natürlich, der Stokkur-Geysir. Der bläst und rülpst alle 8 Minuten heißes Wasser an die 12 Meter hoch aus dem Erdinneren. Kann man die Uhr nach stellen. Etwas schwefelig riecht das alles, etwas mephistophelisch das ganze Szenario. Kurs Süd ist angesagt, da der Vatnajökull, Islands größter Gletscher mit gut 2.000 Höhenmetern, als unbezwingbar gilt. So bauen wir unser Camp am Fuße jenes Vulkangletschers auf, der einige Zeit später in der Luftfahrt für Furore sorgt. Der Eyjafjallajökull lässt seine lange Gletscherzunge weit nach Westen raushängen, fast bis vors Zelt. Unangenehmes Knacken und Stöhnen aus dem Eisinneren rauben uns die Nachtruhe. So richtig gemütlich ist es auch nicht mehr im Zelt. Die letzten Tage schleppten wir immer mehr Nässe von draußen nach drinnen und sogar die Mumienschlafsäcke waren klamm geworden. So haben wir schlussendlich nur eine halbe Durchquerung in der Woche geschafft.

Irgendwie sind Gerhard, mein Freund und Kollege, und ich doch etwas froh, uns wieder der Zivilisation zu nähern, auch wenn wir noch etwa 20 Flussdurchquerungen vor uns haben. Die Trolle kichern, als wir uns aus ihrem Reich verabschieden und über Thörsmörk und Hella wieder in bewohnte Regionen einlaufen. Gleich, ob Island sich eines Tages für oder gegen eine EU-Mitgliedschaft entscheidet: Unser Besuch dort hat tiefe Spuren hinterlassen. Vor allem bei uns.

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