Mit dem Postschiff unterwegs im Land der Trolle und Fjorde


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Kapitän John J. Tindvik und Sicherheitsoffizier Ruben Lengseth kennen die norwegische Küste wie ihre Westentasche – logisch. Jahr für Jahr, Woche für Woche fahren die beiden auf der Brücke der MS «Midnatsol» – einem der inzwischen 15 Hurtigrutenschiffe – 2.500 Seemeilen nordwärts von Bergen nach Kirkenes oder wie ich südwärts von Kirkenes nach Bergen und laufen dabei 34 Häfen an. Seit 115 Jahren sind die Schiffe der Hurtigruten-Linie an Norwegens Küste unterwegs.

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1893 wagte Richard Wirth als Kapitän erstmals zwischen Trondheim und Hammerfest die Route. Postdampfer, Frachter und Passagierschiff zugleich machen die Kreuzfahrt seitdem zum nautischen Alltag – auf hohem Niveau. Die «schnelle Route», so Hurtigruten übersetzt, hat sich als Seefahrt für Naturliebhaber etabliert und wird selbstbewusst als «schönste Seereise der Welt» vermarktet.

«Es ist heute immer so wie am ersten Tag. Im engen Fahrwasser steuern wir das Schiff auch manuell – die 16.151 BRT schwere MS «Midnatsol» misst immerhin 135,75 m und ist 21,5 m breit – berichtet der Norweger. Normalerweise fährt die MS «Midnatsol» also elektronisch. Tindvik erzählt, dass das Leben als Kapitän oder Besatzungsmitglied sich stark verändert hat, seit er seine Kapitänskarriere startete – auf nicht beladenen Frachtschiffen lernte er die gesamte norwegische Küste kennen. Damals hatte man nur Radar an Bord. «Jetzt können wir mit GPS und Radar das Nadelkreuz auf ein Ziel richten – ob fest oder beweglich – und die genaue Position und Entfernung bestimmen», sagt er. Passagiere können den Kapitän auf der Brücke optional besuchen, dürfen das Schiff einmal auf offener See manuell steuern und erhalten dafür sogar eine Urkunde – so wie ich.

Die technologischen Errungenschaften waren mit einschneidenden Veränderungen verbunden, ebenso jedoch die Einführung eines Arbeitsturnus für Seeleute. Heute arbeiten der Kapitän und praktisch alle Angestellten drei Wochen lang an Bord und haben anschließend drei Wochen lang frei, das ganze Jahr über. Dies ergibt 18–19 Rundreisen Bergen–Kirkenes–Bergen pro Jahr, zwei pro Arbeitsperiode. Für den gesprächigen Tindvik und die übrigen Angestellten ist es zum Lebensstil geworden, abwechselnd drei Wochen jeweils auf See und zu Hause zu verbringen. Für deutsche Arbeitnehmer ein Traum. Ebenso wie einmal die schönste Seereise der Welt zu erleben.

«Wird aber das Wetter so richtig rau und stampft das Schiff durch die aufgewühlte See, reduzieren wi

r die Geschwindigkeit (15 Knoten), um die Seereise trotzdem so angenehm wie möglich zu gestalten.» Sehr freundlich, weil die Köche zu jeder Essenszeit jedem Gourmet an Bord beweisen, was an bester Küche mehr oder weniger weit von der Küste entfernt aufgetischt werden kann. Auf meiner Tour war der Wettergott, bis auf einen Tag, bester Laune. Dass die «Midnatsol» kein Kreuzfahrtschiff ist – Hurtigruten darf dieses Wort aus rechtlichen Gründen nicht in den Mund nehmen – macht sich schon beim Einchecken in Kirkenes bemerkbar. Wer mit Schiffen der norwegischen Reederei entlang der skandinavischen Küste unterwegs ist, hat eben keine klassische Kreuzfahrt gebucht, sondern eine handfeste Seereise.

Da gibt es kein Gläschen Prosecco zur Begrüßung und auch kein Captain’s Dinner unterwegs.

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Mehr als entschädigt wird der Gast dafür durch die Herzlichkeit des Personals. Vom Kapitän bis zum Zimmermädchen identifiziert sich die Besatzung offenbar mit dem «Produkt Hurtigreisen», von der Reederei als «schönste Seereise der Welt» angepriesen. Ich durfte eine Kabine auf Deck 7 beziehen und konnte mich eine knappe Woche lang wie ein Thurn und Taxis meiner Heimatstadt Regensburg, also als Fürst fühlen. Zugegeben, die MS «Midnatsol» ist nicht die «Queen Mary II», aber an Luxus – wie etwa einer Spa-Anlage auf Deck 9, wo man im Freien aus dem warmen Wasser heraus über das nördliche Eismeer blicken kann, fehlt es auch auf dem «Postschiff» nicht. An ein solches erinnert hier herzlich wenig. Trotzdem dienen die Schiffe der Hurtigruten auch heute noch (seit 115 Jahren) als Frachter. Neben Kost und Post führt die «Midnatsol», das neueste der – 15 Schiffe umfassenden – Flotte, auch Autos und Camper mit. Die geräumige Kabine verfügt über eine Klimaanlage, geteiltes Doppelbett und Fernsehen, wobei Letzteres tagsüber durch fern sehen in die sagenhafte Landschaft ohnehin nicht nötig ist.

Auf dem Sonnendeck gönne ich meinem Körper und Geist reichlich Erholung im Whirlpool, während wir in den mächtigen Trollfjord einmünden. Dieser lediglich hundert Meter breite Seitenarm – Kapitän Tindvik muss bei der Einfahrt manuell navigieren – trennt die norwegischen Inselgruppen Lofoten und Vesterälen voneinander. Still und leise gleitet die MS «Midnatsol» in den Fjord hinaus und nimmt Kurs auf die Lofoten – für mich neben Bergen der zweite Höhepunkt der abwechslungsreichen Seereise. Die Inselgruppe, zumal das bei einem Lofotenausflug angesteuerte Fischerdorf Henningsvaer mit seinen auf Stelzen stehenden Holzhäusern, gehören zu den idyllischsten Plätzen der Welt.

Das palmenfreie Paradies liegt 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Steile, gezackte Gipfel ragen jäh aus dem Meer, bis zu 1.000 m hoch. Menschen haben wegen des Fischreichtums in dieser rauen Gegend gesiedelt. Überliefert ist die Lofotfischerei seit rund 1.000 Jahren. Noch immer kommen zwischen Januar und März die Fischer aus ganz Norwegen, um hier Dorsch zu fischen. Nach dem Fang werden die Fische paarweise zum Trocknen auf Holzgestelle gehängt. Sie prägen auch die Hafeneinfahrt von Svolvaer, der größten Stadt der Inselgruppe. Zum letzten Mal an diesem Tag verlangsamen die Maschinen der «Midnatsol» die Fahrt, während ein Zittern durch den Schiffsrumpf geht. Dann das seitliche Abschwenken, das Quietschen der riesigen alten Autoreifen, die den Stoß des Bugs am Anleger abfangen. Schließlich das obligatorische Herunterklappen der Gangway, um die Lofoteninsel per pedes oder bei einer Bustour zu erkunden.

Fische sind hier nicht wegzudenken. Lachs und Stockfisch sind wichtig für den Export. Die Bewohner unterscheiden 15 bis 20 Qualitätsstufen des Stockfischs. In der Zeit von Mitte März bis Mitte Juni – während der Leserreise – trocknen auf den Holzgestellen bis zu 30.000 Tonnen. «Der Fisch ist eben unser täglich Brot», erklärt der Fremdenführer. Für das üppige Mittag- und Abendbuffet nach dem Ablegen des Hurtigruten-Schiffes stehen die Passagiere vor dem Restaurant, das Platz für 335 Gäste hat, regelmäßig Schlange. Wer schlau ist, reserviert jeweils für die zweite Sitzung, weil danach kein hungriger Passagier mehr in den Speisesaal drängt.

Fisch in so vielen Variationen bietet wohl kaum eine andere Kreuzfahrt-Küche der Welt.

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Die zwölf Reisetage reichen nicht aus, um alles durchzuprobieren.

Der märchenhafte Trollfjord ist ein weiterer Höhepunkt der Reise. Während der fast einstündigen Langsamfahrt durch den zwei Kilometer langen und manchmal nur knapp 100 Meter schmalen Fjord werden nicht nur besinnliche Naturen sentimental. Es gibt keinen Hafen, kein Ziel, nichts aus- oder einzuladen. Aber dafür ein unvergleichliches Naturerlebnis. Am Ende des Trollfjordes dreht Kapitän John J. Tindvik die 135,75 m lange MS «Midnatsol» beinahe schon artistisch um die eigene Achse und fährt auf gleicher Strecke in gleichem Tempo zurück.

Das trubelige Trondheim ist eine kulturelle Oase inmitten unberührter Natur. In der tausendjährigen Königstadt ragt der Nidaros-Dom, der größte gotische Sakralbau Norwegens, erhaben in den Himmel. Vor allem aber ist die Stadt einfach hübsch, bunt und lebendig. Für den Landgang bleibt oft nur eine halbe oder dreiviertel Stunde. Doch das reicht, um sich auf der Dorfstraße mal kurz die Füße zu vertreten, in Varde ein paar Souvenirs zu kaufen, in Stokmarknes das Hurtigruten-Museum zu besuchen, in der munteren Studentenstadt Tromso ein Café zu besuchen oder sich in Hammerfest beim «Königlichen Polarbären-Club» als Mitglied einzuschreiben.

Wie im Flug vergeht die Zeit auf dem Schiff. In langsamer Fahrt schiebt sich die «Midnatsol» in den Hafen von Bergen. Ein populäres Lied heißt «ich will nach Bergen, ich will sofort nach Bergen. Dort fühle ich mich wie ein Fisch im Wasser.» Eigentlich ist das Wetter ein ewiges Thema in Bergen. Was den Salzburgern ihr Schnürlregen, hat in Bergen viele verschiedene Namen. «Breiflabb» wird im Norwegischen allerdings nicht nur für nassen und kalten Regen verwendet, sondern auch für unverschämte Personen mit großer Klappe.

Für mich bleibt «Breiflabb» in Bergen ein Fremdwort. Die alte Hansestadt empfing mich mit strahlendem Sonnenschein und entlang der Bryggen lernte ich nur freundliche Norweger kennen. Bergen, Norwegens zweitgrößte Stadt, war bis 1814 dänisch. Während der Hansezeit, ab 1350, gab es ein deutsches Kontor der Hanse, das eine Stadt in der Stadt war. Noch in den Fünfzigerjahren gab es Pläne, die Überreste von Bryggen, dem Hanse-Viertel am Hafen, neu zu bebauen. Großfeuer haben die Holzhäuser immer wieder zerstört. Was jetzt nicht nur die Fremden begeistert, stammt in den ältesten Teilen aus dem Jahr 1702. Sechs Häuser überstanden den letzten Brand 1955.

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Obwohl sich das Leben an Deck nicht sonderlich von jenem auf einem Kreuzfahrtschiff unterscheidet, liegt die Besonderheit bei einer Hurtigruten-Reise darin, praktisch alle paar Stunden von Bord gehen zu können. Manchmal nur eine halbe Stunde – häufiger jedoch, um mit der Bevölkerung auf Tuchfühlung zu gehen, um Sehenswürdigkeiten und Ortschaften auszukundschaften. Wer aufmerksam unterwegs ist, trifft auf Trolle, die Fabelwesen der nordischen Sagenwelt …

Literatur

… zur Vorbereitung auf die erschwingliche Traumreise:

Michael Möbius/Annette Ster, DuMont Reise-Taschenbuch: Hurtigruten; 12 Euro

Thomas Härtrich/Lothar Schneider, Die letzten Paradiese der Erde:
Der hohe Norden; Bucher Verlag; 29,90 Euro

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