Hias kreuz und quer durch Deutschland


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«The Straight Story – Eine wahre Geschichte» gilt inzwischen als Kultfilm, obwohl die Deutschland-Premiere erst kurz vor der Jahrtausendwende, am 2. Dezember 1999 war. Der Inhalt des Films, der von David Lynch inszeniert wurde, ist schnell erzählt: Als der 73-jährige Alvin Straight – gespielt von Richard Farnsworth – erfährt, dass sein über 500 Kilometer entfernt lebender Bruder Lyle einen Herzinfarkt erlitten hat, tritt er mit einem fahrenden Rasenmäher die Reise zu ihm an. Die mehrwöchige Tour ist gespickt von Hindernissen und Begegnungen, die Straights Leben verändern.

Hias mit Bulldog im Grünen alternativ

Vergleichbar mit dem Abenteuer des Matthäus Feichtlbauer aus dem Chiemgau, der von der Filmgeschichte nie etwas gehört hat. «I bin der Hias vom Waginger See», heißt das 196 Seiten starke Buch, in dem der 69-jährige Landwirt seine Urlaubsreise quer durch Deutschland aus Oberbayern zur Nordsee schreibt. «Ich hab‘ das Buch so genannt, wie ich mich bei den Leuten unterwegs immer vorstellte». Der rüstige Rentner, dessen Ehefrau Christine 22 Jahre jünger ist und mit der er eine Tochter (Martina) und einen Sohn (Matthias) hat, erklärt in seinem selbst aufgelegten Buch – von dem er schon 800 Stück verkauft hat – warum er in seinem Alter noch eine so große Reise gemacht hat.

«Die Zeit ist keine Schnellstraße zwischen Wiege und Grab, sondern Raum zum Parken in der Sonne». Diesen Spruch hat eine Bekannte dem 69-jährigen Hias Feichtlbauer in dessen Fahrtenbuch geschrieben, bevor der an Prostatakrebs erkrankte Bauer mit seinem 16 PS starken Eicher Bulldog, Baujahr 1952, und einem Planwagen zum Schlafen von Gessenhausen am Tachinger See zur 3.000 Kilometer-Tour in fünf Wochen bei Tempo 20 aufbrach. Davor, während seines ländlichen Berufslebens, war er – bis vor drei Jahren – nie weiter als bis München gekommen.

Ebenso wie dem Kultfilm wird das bayerische Urgewächs auch den Wolfgang-Fiereck-Schlager «Resi, i hol di mit meim Traktor ab …» mit dem Refrain «I hock droben aufm Schleudersitz koana holt mi auf», nicht als musikalischen Ohrwurm mit im spärlichen Reisegepäck gehabt haben.

Selbstkritisch stellt sich der Hias kurz vor dem Aufbruch in unbekannte Gegenden noch Fragen, beantwortet sie aber selbst: «Warum tue ich mir das alles an?

Ich glaube, ich mache diese Reise mit dem Bulldog, weil ich einmal Freiheit und Ungebundenheit genießen kann.

Mein ganzes Leben war ich angehängt. Als ich noch Nebenerwerbsbauer war, musste ich jeden Tag das Vieh versorgen. Man konnte sich nicht viel leisten. Mein Vater hat auch seine erste große Reise gemacht, als er schon 70 Jahre alt war. Es war eine Kreuzfahrt im Mittelmeer und ein riesengroßes Erlebnis für ihn. Aber ich wollte im Alter noch mal etwas sehen von der Welt. Nicht nur im Fernseher, sondern im richtigen Leben, ganz original und hautnah. So fahre ich halt jetzt mit dem Bulldog umher und es macht mir viel Spaß. Weil ich so langsam bin, sehe ich sicher auch mehr, als wenn ich überall durchrasen oder mit dem Flugzeug über alles hinwegfliegen würde.

Hias Bulldog & Planwagen unterwegs

Die Reise kostet mich auch nicht viel, mein Bett habe ich immer bei mir. Ich werde zwar auch viel eingeladen, aber mich freut vor allem, wenn ich mit fremden Leuten ins Gespräch komme. Gemeinsam speisen ist natürlich auch immer ein Fest! Selbstverständlich habe ich auch immer Proviant dabei, damit ich unabhängig bin, wenn keine Einladung hergeht. Das kommt auch manchmal vor und ist auch recht. Dann habe ich Zeit, nachzudenken und in mein Tagebuch zu schreiben».

Marion Zeisler, die als Yogalehrerin und Astrologin ihren Lebensunterhalt verdient, ist eine gute Bekannte der Familie und die Ghostwriterin für den Hias. Sie hat seine Aufzeichnungen überarbeitet, die Bilder von unterwegs zugeordnet und daraus im Selbstverlag zusammen mit dem Hias das Buch geschrieben. Weil der abenteuerlustige Chiemgauer die ersten Touren ohne Navigationssystem fuhr, beschrieb ihm die Ghostwriterin mit der Landkarte in der Hand über das Telefon, wie er zurück zur Reisestrecke fahren sollte.

Ursprünglich hatte Hias zusammen mit seiner Frau den kleinen alten Bauernhof in eine Unterkunft für Wanderreiter umgestaltet, damit er mit seiner Familie finanziell über die Runden kam. Inzwischen wohnt sein Sohn mit der Freundin im Reiterstüberl und er hat einen Ein-Mann-Betrieb «Hauskanalreinigung mit Farb-TV-Kanalkamera, auch an Sonn- und Feiertagen» aufgebaut.

Hias beim Segelfliegen

«Ich bin sehr religiös», bekennt Hias Feichtlbauer so eindringlich, dass ihm dies jedermann glaubt. Deswegen fuhr er mit seinem Bulldog vor vier Jahren über Frankreich in den saarländischen Ort Marpingen, wo es 1999 eine Marienerscheinung gegeben haben soll. 2006 hatte er das bisher einzige negative Erlebnis, als er eine Dreieinhalb-Wochen-Tour nach Dresden unternahm. Er hatte seinen Eicher-Bulldog samt Planwagen in den Elbauen abgestellt und sich schlafen gelegt. Plötzlich weckte ihn eine Dame und sagte, ihr Kätzchen habe sich unter dem Traktor versteckt. Unter ähnlichen Umständen holte ihn die Dame zwei, drei, vier Mal aus den Federn, immer wieder.

Bis sie ihn ins Wohnmobil einlud und er merkte, dass er mitten im Straßenstrich campierte.

Hias mit dem Akkordeon

Kräftig dreht der Hias an der Kurbel, sofort springt sein grauer Eicher-Bulldog, Baujahr 1952 an. Mit lautem Getucker des 16-PS-Einzylindermotors rollt das Traktor-Planwagen-Gespann am 2. Mai vom Hof, wo er erst am 7. Juni wieder eintrifft. Oft langsamer als sportliche Radfahrer durchquert der reiselustige Bauer in fünf Wochen ganz Deutschland. Der alte Dieselmotor seines Bulldogs ist genauso genügsam wie Hias selbst: Zehnmal tankte er für 19,20 Euro. Die Nächte verbringt Hias in seinem Planwagen, den ihm sein Freund Felix Quaiser – Sohn einer Zirkusfamilie – zusammengeschweißt hat. Wäre der Mann größer als 165 Zentimeter, hätte er einen wunden Kopf, weil er unweigerlich immerzu ans Dachgestänge knallen würde. So aber findet er es bequem genug, es hat alles Platz, was er braucht, die Schaumstoffmatratze, das Nachtkastl, der Trachtenjanker, ein Witzbuch, ein Akkordeon, ein Christus-Glasbild als Kruzifix-Ersatz.

Unterwegs war Hias Feichtlbauer mit seinem Eicher in: Gessenhausen – Rosenheim – München – Augsburg – Ulm – Stuttgart – Karlsruhe – Kaiserslautern – Trier – Aachen – Duisburg – Nordhorn – Borkum – Wilhelmshaven – Delmenhorst – Celle – Hannover – Nordhausen – Erfurt – Coburg – Bamberg – Nürnberg – Regensburg – Straubing – Landshut.

Wenn die Prostatakrebs-Untersuchung zu seiner Zufriedenheit verläuft, heißt sein Ziel in diesem Jahr «Bodensee».

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