Auf den Spuren des jungen Napoleon – zu Fuß und im Geländewagen


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Letizia Ramolino gebar ihrem Ehemann Carlo Buonaparte, Jurist und in Ajaccio als Richter tätig, insgesamt 13 Kinder. Eines davon, einen der Jungen, den Zweitgeborenen, tauften sie auf den Namen Napoleone, geboren am 15. August 1769.

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Den Eltern ging es gut, sie zählten zum korsischen Kleinadel, von dem es in der Hafenstadt Ajaccio noch einige Mitglieder mehr gab. Diese «etwas besser Gestellten» verfügten zwar nicht über opulente Reichtümer, besaßen aber Ländereien, die für Landwirtschaft, Holzgewinnung und Weinberge taugten. So wuchs der kleine Napoléon in der etwas nobleren Agrarszene in und um Ajaccio auf. Die Vorfahren seiner Eltern lebten schon seit dem frühen 16. Jahrhundert auf der Insel und stammten ursprünglich aus der Toscana.

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Frasseto. Hier geht es links ab, hoch zu den Kastanienwäldern.

Den Namen Napoléon kennt die jüngere Generation kaum mehr. Und wenn doch, wird dem bekanntesten Sohn der «Insel der Schönheit» kaum noch Interesse zuteil. Lediglich der Flughafen, leicht international angehaucht, stellt noch eine namentliche Reminiszenz zum späteren Kaiser und Feldherrn her. Wesentlich lebendiger sind Geschichte und Geschichten außerhalb der Hauptstadt und tief im gebirgigen Land. In einem kleinen Café am Fuß der gewaltigen Zitadelle von Ajaccio berichtet der fast 80-jährige Thierry Carlù aus Forcone nahe der Hauptstadt, was ihm der Großvater im Laufe der gemeinsamen Jahre erzählt hatte: «Ja, Napoléon, unser großer Sohn der Insel. Selbst in seiner Geburtsstadt findest du nur noch wenige Hinweise auf ihn. Die Welt eilt immer schneller dahin, für Rückblicke ist kaum noch Zeit und vieles ist schnell vergessen. Also, Napoléon: Schon in seinen Kindheitstagen reizte ihn der wasserreiche Prunelli-Fluss, der seine Quelle am 2.352 Meter hohen Monte Renoso hat. Das klare und kalte Wasser war in den heißen Sommermonaten auch für unseren kleinen Napoléon immer einen Ausflug wert. Aber er wollte unbedingt wissen, woher das viele Wasser kommt. Also nahm ihn sein Onkel mit, weiter ins bergreiche Land hinein. Dorthin, wo die großen Maronenbäume wachsen, die Walnuss- und Feigenbäume. Da kletterte er hinauf, um die schönsten Früchte zu pflücken.»Wir machten uns auf den Weg, auf den Spuren des jungen Napoléon. Frei laufende Schweine, die domestizierten Artgenossen der Wildschweine, bevölkern nahezu jede Straße, die durch Wald führt. Hier finden die (fast) Allesfresser ihre frugale, fettreiche Nahrung: Eicheln und Esskastanien. Ein paar Meter weiter, in der Macchia oder im tiefen Tann’ werden die wilden Artgenossen gejagt, in den frühen Morgenstunden. «Sangliers» heißen die Tiere in der französischen Landessprache und gelten als Delikatesse.

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Eng, rau, holprig: hier versteckten sich die wahren Korsen vor den Franzosen.

Thierry Carlù empfiehlt uns, mit unserem Geländewagen hoch ins Dorf Santa Maria del Sicche zu fahren. Ein paar Meter weiter geht es im Weiler Frasseto zum Pass Col d’Arusula auf über 1.200 Meter. «Dort findet ihr die fettesten Maronen, die dicksten Walnüsse und die süßesten Feigen, die damals auch schon das Kind Napoléon probiert haben wird. Aber es ist auch mit dem Geländewagen eine schwere Strecke und zu Fuß verdammt weit.» Wir rollen auf der N 196 hoch Richtung Col St. George und begegnen Napoléon neben der Straße: ein Restaurant, stilsicher nach Art der Region, alt, gepflegt, heimelig. Hinter dem Pass geht es auf kurvenreichem Sträßchen nach Santa Maria Sicchie. Im privaten Hotelchen gleichen Namens empfängt uns neben dem Chef des Hauses auch Napoléon wieder. Zu seinen Ehren hat der Besitzer ein Bild des Kaisers als Fresko schaffen lassen, das den «Stellenwert» des großen Sohnes klar verdeutlicht. Fast wie von einem Altar blickt der große Feldherr und Kaiser auf die Abendgäste herab.

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Napoléon passt auf die Hausgäste gut auf

Einige Tage später, auf dem Weg an die Ostküste der Insel, finden wir einen historisch verbrieften Hinweis auf die Anwesenheit Napoléons. In dem 650 Meter hoch gelegenen Dorf Piedi Croce in der Region Castaniccia, nur etwa 18 Kilometer Luftlinie vom Meeresgestade entfernt, steht die Ruine einer Franziskaner-Abtei, die 1485 gegründet worden war. Heute stehen nur noch der Campanile und die Seitenmauern der Basilika. Hier traf sich der 21-jährige Napoléon mit Pascal Paoli, dem früheren Arbeitgeber von Vater Carlo Buonaparte, der bei dem Revolutionär und Widerstandskämpfer Paoli längere Zeit als Sekretär arbeitete. Im Laufe der Jahre wurden sie Freunde.Paoli musste sich, als Italien die Insel 1778 an Frankreich verkaufte, dauerhaft verstecken, denn er und seine Kumpane wollten den politischen Wechsel nicht akzeptieren. Diese Haltung hat sich bis heute bei vielen Korsen gehalten: Sie mögen die Franzosen nicht, zumal französisch seither Landessprache ist. Sie haben sich aber teilweise arrangiert, denn es fließt viel Geld von der «Mutter» auf die Insel. Die wahre Gesinnung führt aber immer wieder zu stummen Protesten auf den aktuellen französischen Präsidenten. Da darf dann auch mal ein Schreibfehler dabei sein.

Auf der Rückreise von Piedi Croce wieder Richtung Ajaccio ließ es sich Napoléon nicht nehmen, weitere Schlupflöcher und Verstecke im unwegsamen Gebirge für die Widerstandskämpfer zu suchen. Am Fuße des höchsten Inselberges, dem Monte Cinto, in der engen Schlucht des Vallu Niellu fanden sich Pfade und Felsen, die noch nie vorher von eines Menschen Fuß begangen worden waren: steil, tief ausgewaschen, eng und sogar für einen neuzeitlichen Geländewagen nur mit Mühe und Risiko zu meistern. Ideal als Verstecke geeignet. Auch der Revoluzzer Paoli fand hier zeitweise Unterschlupf.

Die politische Karriere von Napoléon ist in gesicherten historischen Wer-ken nachzulesen.Sein Ende war traurig. Für ihn. Für seine Angehörigen, seine Freunde und alle Korsen. Er starb im Exil, tausende Kilometer von seinem Geburtsort Ajaccio entfernt. Sein Grab aber liegt im Pariser Invalidendom. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde er seine letzte Ruhestätte wohl in seiner Geburtsstadt Ajaccio gesucht haben.

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Wildschwein oder Hausschwein? Letztere sind größer und hellhäutiger.

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Stille, aber klare Ansage: die Korsen lieben die Franzosen nicht

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Aus den köstlichen Maronen brauen die Korsen sogar das berühmte Pietra-Bier.

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