Sprechende Ampeln und gelbe Fußspuren auf dem Asphalt


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Können Ampel sprechen? In Marl schon. Die 84.000- Einwohner-Stadt am nördlichen Rand des Ruhrgebiets bietet nicht nur diese eine Überraschung im Straßenverkehr. Kinderampeln, bürgerfinanzierte Tempo-30- Zonen und nicht zuletzt der „Marler Ampelgriff“ gehören dazu. Insgesamt mehr als 40 Projekte. Mit Kreativität in Zeiten chronisch leerer Kassen die Verkehrssicherheit zu erhöhen – das haben sich dort die Verkehrsplaner und mit ihnen die Politiker auf die Fahnen geschrieben.

Foto: Matthias Mausolf

Gerade in der kalten Jahreszeit ist der Ampelgriff eine sehr angenehme Sache.

„Marler tun es 64.450 mal täglich … Und zwar in aller Öffentlichkeit“ steht irgendwann plötzlich auf einer mehr als 10 Quadratmeter großen Plakatwand – und löst einen Sturm der Entrüstung aus. Bei der Stadt Marl prallt dieser Protest stumpf ab, schließlich ist sie Auftraggeber der ungewöhnlichen Aktion. Zwei Wochen später bringt ein Aufkleber auf dem Plakat Aufklärung: „Rad fahren!“ Es schärft den Sinn für eine Gruppe von Verkehrsteilnehmern, die hier keineswegs eine kleine Minderheit darstellen. Fast ein Viertel aller Verkehrsleistungen werden in der Stadt mit dem Fahrrad erbracht.

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Unter der Mitwirkung dieser Kinder entstand der Kinderstadtteilplan Marl-Hüls. In ihm sind unter anderem Straßen nach ihrer unterschiedlichen Gefährlichkeit farblich gekennzeichnet, aber auch Zebrastreifen und Querungshilfen, Spielplätze, Kletterbäume, Jugendtreffs und selbst Eisdielen eingedruckt.

Entsprechend umfangreich sind die Maßnahmen, um diesen umweltfreundlichen Umstand weiter zu fördern. Das beginnt bei der Öffnung von Einbahnstraßen für Radfahrer in beide Richtungen, geht über Fahrradstraßen und das Einschreiten gegen auf Radwegen parkende Autos bis hin zur Auflage bei Neubauten, Fahrradständer zwingend einzurichten – so wie Autostellplätze schon seit langem landauf, landab Pflicht sind. Und dann ist da noch der inzwischen fast legendäre „Marler Ampelgriff“: Eine knallgelbe Stange aus dem Sanitärzubehör, an der sich der Radfahrer festhalten kann, während er auf dem Drahtesel sitzend auf „Grün“ wartet. Finanziert wird der Ampelgriff wie viele andere Projekte auch durch Sponsoren oder das Engagement der Bürger. Die können nämlich „Ampelgriff-Aktien“ kaufen.

Ein anderer Schwerpunkt ist die Verkehrssicherheit bei Kindern. Sie liegen Verkehrsplaner Udo Lutz – selbst mehrfacher Vater – und seinen Kollegen besonders am Herzen. Eine Idee in diesem Zusammenhang ist die Kinderampel. Nein, es ist keine Ampel, die zu heiß gewaschen wurde und eingelaufen ist. Vielmehr sind die Anforderungsknöpfe niedriger platziert als sonst, damit auch kleine Kinder sie gut erreichen können. Die Grünphase für Fußgänger wurde verlängert, dafür die der Autofahrer verkürzt. Für Akzeptanz beim Nachwuchs sorgt auch, dass er als Pflastermaler in die Einrichtung der Kinderampel eingebunden wird. Die Stadt stellt Farbe und Schablonen sowie Absperrmaterial – zum Beispiel Pylone – damit die Hobbymaler unter Anleitung Erwachsener ungefährdet zu Werke gehen können. Eine preiswerte Sache mit einem großen pädagogischen Effekt. Da geht dann auch mal Udo Lutz in die Knie und malt akkurat einen gelben Schuhabdruck auf den Asphalt.

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„Danke schön. Gleich wird’s grün!“ sagt die Ampel den Kindern – und ein Hörfunk-Reporter nimmt’s für seinen Bericht auf.

Den findet man inzwischen auf zahlreichen Wegen in Marl. Sind der linke und der rechte Schuh versetzt, so markiert dies einen optimalen Weg zum Beispiel zur Schule. Sind beide Schuhe parallel vor einer weißen Linie aufgemalt, so weiß in Marl jedes Kind, dass es hier stehen bleiben muss, bis ein gefahrloses Überqueren der Straße möglich ist.

Fußspuren starten an einem Parkplatz an der Gendorfer Straße. Von hier sind es 250 Meter zur Harkort-Grundschule, vor der früher morgens und mittags ein ziemliches Chaos wegen der vielen „Mama-Taxis“ herrschte. An der Gendorfer Straße wurde zusammen mit dem ADAC eine sogenannte Elternhaltestelle mit eigenem Verkehrsschild eingerichtet. Die erste im Revier! Nicht nur die gefährliche Situation vor der Schule ist entschärft, durch die 250 Meter Schulweg sind die Kids morgens schon ein paar Minuten an der frischen Luft und können ihrem natürlichen Bewegungsdrang nachkommen. Der Erfolg der Aktion war so groß, dass es kurzzeitig Staus an der Elternhaltestelle gab. Udo Lutz reagierte schnell und jetzt gibt es eine zweite Elternhaltestelle.

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Stadtplaner Udo Lutz (r.) und Günter Trunz vom ADAC Westfalen (l.) legen selbst Hand an, um den Weg zur Elternhaltestelle zur Harkortschule zu markieren.

Und was hat es jetzt mit der sprechenden Ampel auf sich? Die bedankt sich nach Drücken des Anforderungsknopfes mit dem Satz „Danke schön – gleich wird‘s grün!“ Das hilft in erster Linie Sehbehinderten, die jetzt wissen, dass sie den Knopf richtig erwischt haben und die Ampel in Betrieb ist. Kinder überqueren nun kaum noch bei Rot die Straße, denn sie wissen, gleich wird’s grün. Das hat die Ampel ja unüberhörbar versprochen.

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