Ohne Nachtanken mehr als 1.000 Kilometer mit Autogas


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Mehr als 1.000 Kilometer mit einer Tankfüllung! «Na und», wird da mancher Dieselfahrer sagen, «das schaffe ich doch auch. Also fast. So 800 bis 900 Kilometer.» Doch beim Projekt s1000plus des Instituts automotive powertrain an der HTW (Hochschule für Technik und Wirtschaft) Saarland soll diese Schallmauer allein mit Autogas überwunden werden, bei dem die Reichweite im Allgemeinen bei rund 400 Kilometern liegt. «Na und», meldet sich wieder unser Dieselfahrer zu Wort, «dann packt man eben einen zweiten Tank in den Kofferraum» Eben nicht! Für diesen simplen Weg bräuchte man keine Hochschulforschung, das könnte vermutlich jede bessere Werkstatt. Das Projekt s1000plus ist weit mehr, und so bleibt der Kofferraum für Zusatztanks tabu. Es will der Industrie praktikable Lösungsansätze für den Alternativ-Kraftstoff Autogas aufzeigen. Daher ist die KÜS erneut Projektpartner und unterstützt die Forschungen sowohl finanziell als auch organisatorisch und mit dem Fachwissen ihrer Ingenieure.

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s1000plus knüpft nahtlos an die beiden Vorgängerprojekte mit LPG (Liquified petroleum gas) an, bei denen die KÜS ebenfalls beteiligt war. «Schneller, sparsamer, weiter» könnte man sportlich die drei Ziele umschreiben.

Beim Projekt v300plus wurde mit Autogas eine Geschwindigkeit von 303,6 km/h gefahren. Der eingesetzte Achtzylindermotor hatte zur Rekordfahrt eine Leistungssteigerung von zehn Prozent erfahren. Die verbreitete Ansicht, dass Autogas Leistung kostet, war durch zahlreiche Maßnahmen der Wissenschaftler eindrucksvoll widerlegt.

CO2-100minus ging in die andere Richtung. Jetzt war Sparen angesagt. Mit der Umrüstung auf LPG, einer selbst entwickelten Motorsteuerung, Monovalenz (ausschließlicher Autogas-Betrieb ohne Benzin-Startphase) und einer Verdichtungserhöhung wurde der CO2-Ausstoß eines Peugeot 107 von 109 Gramm auf 90,9 Gramm pro Kilometer reduziert. Damit wurde sogar der erst ab 2020 geltende EU-Grenzwert von 95 Gramm klar unterboten.

Jetzt also s1000plus. Klar, dass die Professoren Thomas Heinze und Harald Altjohann zusammen mit ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studenten alle Erkenntnisse der Vorgängerprojekte einbringen werden. «Weniger CO2 heißt schließlich auch weniger Kraftstoffverbrauch und damit eine höhere Reichweite», erläutert Heinze. Eines ist allen Beteiligten dabei klar: Als fahrendes Hindernis auf der Autobahn mit Tempo 80 bis 90 – so wie es ein Batteriehersteller vor einigen Monaten bei der sehr fragwürdigen «Nonstop»-Elektrofahrt von München nach Berlin gezeigt hat – das kommt für sie nicht infrage.

Vielmehr sollen Redakteure von Fachzeitschriften und Tageszeitungen den Rekord fahren. Die gehen nicht gerade zimperlich mit Testwagen um. Entsprechend groß müssen die Kraftstoff-Reserven sein.

An den Start kommt nicht etwa ein Sparzwerg wie im Vorgängerprojekt, sondern eine ausgewachsene Familienlimousine aus dem Hause Peugeot: Ein 5008, den die Marke mit dem Löwen im Grill als Projektpartner zur Verfügung gestellt hat. Der Siebensitzer hat einen aufgeladenen 1,6-Liter-Motor mit einer Leistung von 115 kW (156 PS) und laut Peugeot einen kombinierten Verbrauch von 7,3 Litern/100 Kilometer. Berücksichtigt man, dass die Laborwerte des NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) in der Praxis nicht einzuhalten sind und der Verbrauch im Autogasbetrieb durch dessen geringere Energiedichte höher ist, so dürfte der Spritkonsum bei gut 9 Litern LPG liegen. «Da wir 100 Liter Tankvolumen wohl kaum unterbringen können, müssen wir noch massiv am Wirkungsgrad arbeiten», hat Heinze schon mal grob überschlagen.

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Entsprechend widmet sich die erste Phase des Projektes s1000plus jetzt der Bauraumbetrachtung. Wegen der sieben Sitze ist der Unterboden entsprechend niedrig. Und natürlich müssen auch Wissenschaftler gesetzliche Vorgaben aus gutem Grund einhalten – sei es hinsichtlich der Bodenfreiheit oder dem Abstand zu heißen Teilen, sprich dem Abgassystem. «Da wird kräftig recherchiert», berichtet der wissenschaftliche Mitarbeiter Michael Fries und räumt ein, dass man zurzeit etwas am umfangreichen Regelwerk deutscher und europäischer Vorschriften verzweifele.

Fest steht schon, dass der Benzintank ausgebaut wird. Den brauchen die HTW-Forscher ja nicht, denn auch der Peugeot 5008 LPG wird monovalent aufgebaut und auch wieder die Verdichtung erhöht. Zum Einsatz kommt eine Teleflex-Autogasanlage der neuesten Generation. Bei ihr wird das (flüssige) Autogas nicht erst verdampft, sondern mit hohem Druck direkt in den Brennraum eingespritzt.

Im Weg ist auch der riesige Endschalldämpfer hinter der Hinterachse. Daher denkt man bei automotive powertrain über eine Modifikation des Auspuffs nach. Statt am Heck würden dann die Abgase rechts vor der Hinterachse entweichen. Neuer Platz für Zusatztanks wäre gewonnen. Und auch die Tanks werden nach dem jetzigen Stand etwas Besonderes sein. Die Forschungsgruppe will sogenannte Matratzentanks montieren – eine Bauform mit mehreren nebeneinander liegenden Zylindern auch unterschiedlicher Länge, die sicher noch als Exot unter den Flüssigkeitsbehältern gelten kann.

Eine große Rolle spielt für die Saarbrücker Wissenschaftler die Alltagstauglichkeit ihrer Forschungen. So werden während des gesamten Projektes Verschleißmessungen durchgeführt, und auch der optimale Einsatz von Additiven – die bei Autogas anders als bei Benzin nicht bereits in der Raffinerie zugesetzt werden – soll getestet werden. «Die Lebensdauer eines Motors ist für uns ganz wichtig», betont Volker Witte, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter bei automotive powertrain. «Er muss mindestens 200.000 Kilometer problemlos laufen und nichtnur die 1.000 Kilometer des Projektes.»

Noch zwei weitere Forschungs- und Entwicklungsaspekte stehen im Lastenheft des Projektes s1000plus. Zum einen soll es endlich eine vernünftige, integrierte Anzeige aller Autogas-Verbrauchswerte im Armaturenbrett geben. Bisher haben die allermeisten LPG-Anlagen lediglich insgesamt 5 LED als Tankanzeige. Kein leichtes Unterfangen, wenn man mit mehreren Tanks arbeitet. «Wir müssen zum Beispiel das Überströmen zwischen den Tanks verhindern», spricht Michael Fries eine Pro‑blematik an. Sein Lösungsansatz: Mit Relais soll sichergestellt werden, dass jeweils nur ein Tank angesteuert werden kann.

1.000 Kilometer Reichweite mit nur einer LPG-Tankfüllung – da könnte manch einer ganz das Tanken vergessen. Mal eben zur nächsten Tanke trampen und fünf Liter Reservesprit holen geht nicht, wenn der Benzintank erst einmal ausgebaut ist. Autogas wird schließlich mit einem Druck von rund 8 bar im Pkw gespeichert. Daher soll ein LPG-Reservekanister entwickelt werden. Für den Endverbraucher wäre dieser sicher zu teuer, aber er könnte eine attraktive Angebotserweiterung für Automobilclubs, Pannendienste und Tankstellen sein. Einen Abschleppwagen rufen, nur um damit zu nächsten Zapfsäule zu fahren – das muss ja nun wirklich nicht sein.

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