Eine Nacht an der Autobahn-Raststätte


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„Ich würde gern mal eine Nacht auf einer Autobahn-Raststätte verbringen. Wäre doch bestimmt interessant zu erfahren, was sich da so tut. Welche Menschen warum nachts auf einer Autobahn-Raststätte verbringen und woher die überall kommen.“ Die Kollegen waren angetan von meiner (Spontan-)Idee: „Ja, mach mal!“

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Das hatte ich nun davon. An einem späten Juliabend dieses Jahres bog ich auf die Raststätte Kraichgau an der A6 ein. Am nächsten Tag hatte ich einen beruflichen Termin in München. Also: Nachts auf der Raststätte rum stromern, Eindrücke sammeln, vielleicht den einen oder anderen Gesprächspartner finden, dann morgens noch ein bisschen im Auto pennen, und weiter nach München. Alles ganz einfach. Oder?

Kurz nach 23 Uhr kam ich an. Gleich hinter der Zufahrt, die über einen neu angelegten Kreisel verläuft, standen die Lastwagen aus halb Europa dicht an dicht. Von rechts grüßte das aus dem Boden gestampfte Rhein-Neckar-Stadion der Hoffenheimer Bundesliga-Fußballer. Links, ein paar hundert Meter weit weg, blinkten die übergroßen Neon-Lichter vom Technik-Museum Sinsheim. „Da wolltest Du doch auch mal hin“, erinnerte ich mich.

Also, los geht’s. Irgendwo hin mit dem Auto auf einen Pkw-Parkplatz. Dann raus aus der Karre und ein bisschen umsehen. Im Restaurant gähnende Leere. Eine einsame Bedienung werkelt in den Auslagen herum. Drinnen alles hell erleuchtet. Freundlich, einladend. Aber irgendwie seltsam. Wirkt ein bisschen wie eine Filmkulisse. Gleich, so hat man den Eindruck, ruft der Regisseur: „So, jetzt drehen wir noch mal die Szene, wie die Leute aus dem Bus von der Kaffeefahrt rein stürmen.“ Von wegen. Weiter lärmende Stille.

An den Zapfsäulen herrscht gegen Mitternacht weitestgehend „tote Hose“. Ab und zu ein Mercedes Sprinter, oder etwas Ähnliches. Deren Fahrer, die ich freundlich anspreche, um ihnen zu erklären, was ich um diese Zeit hier mache, sehen mich ziemlich ungläubig an. Ganz offensichtlich erscheint ihnen mein Vorhaben doch sehr ungewöhnlich.

Ins Gespräch kommen mag niemand. Bohren und nachfragen will ich auch nicht. Ich denke mir, dass die Angestellten auch ihre Instruktionen haben und respektiere das. Aber es ist vielleicht ganz gut, wenn die Leute wissen, was dieser komische Kerl da draußen macht, der auf den Parkplätzen rum streicht. Kalt ist es. Sommer 2012 eben. Ich setze mich mal eben wieder ins Auto. Auf SWR3 plaudert Christian Thees. Bruce Springsteen hämmert aus dem Äther „Born in the USA“. Die Verkehrsnachrichten um halb zwei sind so inhaltsschwer wie die Gebrauchsanweisung einer elektrischen Bohrmaschine in altgriechischem Versmaß. Völlig überflüssig also eigentlich.

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Draußen nieselt es. Ich gehe trotzdem mal wieder raus. Schließlich will ich ja erleben, wie es hier so zugeht nachts. Falls es überhaupt zugeht. Ich gehe durch die menschenleeren dunklen Parkreihen an den Rand der Autobahn. Flackernde Lichter im Gischt des Regens. Monotones Surren der schweren Lastzüge, die mit unbekanntem Ziel an meiner Nase vorbei rauschen. Ab und zu ein Kleintransporter, eher selten Pkw. Die Bahn ist so gut wie leer. Die Zuständigkeitsbereiche sind hier tagsüber fein säuberlich verteilt. Rechts, da fahren die Laster. In der Mitte ist die sogenannte Opel-Spur. Also der Mittelstand. Links, so nennen das die Raststätten-Leute habe ich mir sagen lassen, das sei die Porsche-Spur. Also die Schlipsträger mit Kreditkarte. Die, die sonst den ICE oder den Lufthansa-City-Jet nehmen.

An der Zapfsäule habe ich später Glück und bekomme eine Antwort von einem Fahrer, der Zeitschriften geladen hat. Eine Red Bull hat er sich drinnen gekauft. „Normalerweise hab ich welche dabei. Die da drin sind sauteuer“, sagt er. Wieviel? will ich wissen: „3,99 die Dose.“ Überhaupt: wenn mal einer rauskommt, hat er meist eine Cola, ein Red Bull oder einen Coffee-to-go gekauft. Aber: Keine Familien mit Kindern. Am Samstag haben doch die Ferien begonnen. Die sind wahrscheinlich alle schon am ersten Tag weg von zu Hause Richtung Süden.

Ich verziehe mich mal zwischen die Lkw. Wie mächtige dunkle Trutzburgen stehen sie da. Ruhig, gewaltig, Respekt einflößend. Ich sehe mir die Kennzeichen an: Aus aller Herren Länder. Auf Raststätten treffen Menschen unterschiedlichster Herkunft (was nicht nur geographisch gemeint ist) aufeinander. Hinter der Windschutzscheibe eines dieser schweren 30-Tonner sitzt im matten, fahrigen Licht der Fahrer und löffelt wohl ein Süppchen. Ein Ungar. Nein, bewahre, ich kann kein Ungarisch. Aber die E-Mail-Adresse draußen auf der Plane zeigt die Herkunft von Fahrzeug und Fahrer. Der, um die 50, Unterhemd, bärbeißiger Typ, sieht mich zweifelnd an, als ich um seinen „Bock“ streife. Als ich auf meine Kamera deute, zu ihm hinauf zeige, zieht er den Vorhang an seiner Windschutzscheibe zu. „Lass mir meine Ruhe“, wird er wohl denken.

An den Toiletten der Tankstelle werkelt inzwischen das Reinigungspersonal. Kurz nach halb fünf. Es wird hell, so ganz allmählich. In dem einen oder anderen Lkw wird das schwere Diesel-Aggregat angeworfen. Leitungen fauchen und pfeifen. Auch die Bahn wird voller. Menschliches Treibgut, denke ich mir. Immer unterwegs, dem Gesetz des Turbokapitalismus folgend. Stillstand höchstens für ein paar Stündchen in der Schlafkabine.

Ich denke an meinen Termin in München. Sind ja auch noch ein paar Kilometer bis dahin. Als ich meinen Fahrersitz nach hinten klappe, um noch eine Mütze Schlaf einzufangen, kommt mir noch eine ganz ausgefallene Idee für eine Reportage im nächsten KÜS-Magazin. Zu der es vielleicht wieder heißen wird: „Ja, mach mal!“

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Er hat die Autobahnraststätten auf unnachahmliche Weise musikalisch verewigt. Titel wie „Hitch Hike Baby“ und „Erst drüben die Dame“ beschreiben den (Fahrer-)Alltag ungeschminkt, lakonisch und treffend. Die Song-Klassiker von Volker Lechtenbrink – von denen in den siebziger Jahren viele in Zusammenarbeit mit Peter Maffay entstanden sind – gibt es seit kurzem im Original auf CD („Leben so wie ich es mag – Die Singles, plus“. Bear Family Records).

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